Nicht Partei, sondern ein Staat

■ Zum Verfassungsgerichtsprozeß in Sachen KPdSU-Jelzin

Nicht Partei, sondern ein Staat Zum Verfassungsgerichtsprozeß in Sachen KPdSU-Jelzin

Als er nach dem August-Putsch durch einen Ukas die KPdSU und die KP Rußlands verbot, da hat Präsident Jelzin — wenn man der Zeitung 'Prawda‘ glauben darf — Millionen von Ex-Parteimitgliedern ganz unabhängig von ihren Handlungen und persönlichen Eigenschaften in Menschen mit einer kriminellen Vergangenheit verwandelt, darunter auch sich selbst. Und erst die Verfassungsrichter von heute! „Muß man nicht die Kompetenz eines Juristen anzweifeln?“, so fragt die Zeitung, „dem seinerzeit nicht einmal sein juristischer Spürsinn verriet, daß er Mitglied einer zutiefst verfassungswidrigen Partei war?“ Dies scheint das Echo auf den Seufzer aus der Brust des braven kleinen russischen Beamten zu sein, dessen ohnehin schwer erschüttertes Wertesystem in diesen Tagen den letzten Stoß erhält. Was er vielleicht nicht weiß und die 'Prawda‘ nicht wissen will, daß bereits in Jelzins Ukas geschrieben steht: „Unzulässig sind Repressionsversuche gegen die Millionen einfacher Parteimitglieder, die für die in ihrem Namen ausgeübte Willkür und Gewalt nicht verantwortlich zu machen sind.“

Keinem romantisierenden Altkommunisten wurde hier der Schnabel verboten und auch nicht der Zeitung 'Prawda‘, die sogar von der russischen Regierung subventioniert wird. Lahmgelegt wurden lediglich die KPdSU-Strukturen, die sich von der Spitze des Staates bis zur Dorfsowjetebene den Parlamenten faktisch überordneten. Diese Organisation verstand sich so sehr als eigentlicher Staat, daß ihre Generalsekretäre anstelle der zuständigen Regierungsmitglieder sogar internationale Dokumente wie die Helsinki-Schlußakte unterzeichneten. Diese Machtstruktur bestimmte den Ausgang von Gerichtsprozessen und verfügte über eigene bewaffnete Formationen im KGB. Selig, wer angesichts all dessen noch glauben kann, die Mitgliedschaft in dieser Organisation sei freiwillig gewesen. Von dieser Freiwilligkeit müßte das Verfassungsgericht Rußlands ausgehen, wenn es die KPdSU ihrer Forderung entsprechend mit anderen gesellschaftlichen Parteien und Verbänden gleichstellte. Dann wären tatsächlich alle Parteimitglieder für die von ihr begangenen Verbrechen verantwortlich, von der Unterschlagung gewaltiger Finanzmittel des notleidenden Staates über die Schürung von Haß gegen nationale Minderheiten bis zu den gewaltsamen Überfällen auf Ungarn, die CSSR und Afghanistan.

Sollte das Verfassungsgericht der KPdSU jedoch den Status einer Partei nicht zubilligen, dann kann man getrost davon ausgehen, daß die meisten ihrer Mitglieder nicht beitraten, um sich an diesem Zerstörungswerk zu beteiligen, sondern um nicht den Arbeitsplatz zu verlieren oder weil die Kinder einmal studieren sollten. Barbara Kerneck, Moskau