Sarajewo ist enttäuscht

■ Versorgung von Sarajewo weiterhin unzureichend/ Abbruch der Demonstrationen gegen Milosević

Belgrad/Sarajewo (dpa/ap) — „Nahrung und Medikamente kommen in unzureichender Menge an.“ Mit diesen kritischen Worten beschrieb Radio Sarajewo die Lage in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo am dritten Tag der Luftbrücke. Die Bürger seien enttäuscht, daß bisher nicht einmal die Hälfte der notwendigen Mengen an Lebensmittel und Arzneien bei der notleidenden Bevölkerung eingetroffen sei. Während für die Notversorgung der 300.000 Einwohner in der bosnischen Hauptstadt 700 Tonnen Hilfsgüter notwendig seien, sollen bisher nur 310 Tonnen angekommen ein.

Nach Angaben des Flüchtlings- Hilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) in Genf sind am Sonntag bei 16 Hilfsflügen nach Sarajewo 200 Tonnen Lebensmittel, Babynahrung, Medikamente und andere wichtige Güter in die Stadt gebracht worden. Da viele Familien sich seit langem jedoch nur noch von Nudeln, Reis oder Brot ernährten, nähmen Magen- und Darmerkrankungen zu. Wegen der Kämpfe wagten sich in einigen Stadtteilen die Bewohner immer noch nicht aus ihren Häusern heraus.

Der Vormittag verlief in Sarajewo weitgehend ruhig. Erstmals seit Wochen versuchten einige Betriebe auch wieder, die Arbeit aufzunehmen, zwei Buslinien wurden eingerichtet. Der größte Teil Sarajewos war jedoch ohne Wasser und Strom.

Über eine Streitmacht von 30.000 Mann soll die Führung des von kroatischen Separatisten augerufenen Staates „Herzeg-Bosnia“ verfügen. Diese Truppe kontrolliert den Südwesten der Republik Bosnien-Herzegowina und hat in letzter Zeit erhebliche militärische Erfolge im Kampf gegen die serbischen Einheiten erzielt. Die Grenzen des neuen Staates wollte Mate Boban, der Führer der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) in Bosnien nicht genauer beschreiben.

Die Opposition in der größten jugoslawischen Teilrepublik Serbien hat am Montagmorgen ihre ununterbrochenen siebentägigen Demonstrationen gegen den Republikspräsidenten Slobodan Milosević abgebrochen. Viele zehntausend Oppositionsanhänger hatten bis in die frühen Morgenstunden wieder vor dem Belgrader Parlament den Rücktritt von Milosević gefordert. Die Proteste wurden offenbar wegen einer Zusicherung des designierten ersten Regierungschefs in Rest-Jugoslawien abgebrochen. Milan Panic hatte in einem Brief an die größte Oppositionspartei SPO durchblicken lassen, er werde schnelle demokratische Neuwahlen durchsetzen und eine Beteiligung der Opposition an der Regierung anstreben. In einem eindringlichen Appell an die KSZE versprach Panic außerdem die Beendigung der Kämpfe in Bosnien und Kroatien. Dafür müßten ihm und seiner neuen Regierung jedoch eine Frist von 100 Tagen gewährt werden.