Flüchtlinge in der Falle

■ Nachdem auch Österreich den Visumzwang für Neu-JugoslawInnen einführte, ist kein westeuropäisches Land mehr aufnahmebereit/ Hilfsorganisationen protestieren

Berlin (taz) — Nur knapp 100 Menschen am Tag sind es noch, die den Weg aus Ex-Jugoslawien nach Westeuropa schaffen. Bis Mitte vergangener Woche gelang immerhin rund 500 Flüchtlingen täglich die Einreise nach Österreich. Doch seit auch die Regierung in Wien am Donnerstag ihre Grenzen dichtmachte, stecken die rund zwei Millionen Menschen, die nach UN-Schätzungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien auf der Flucht sind, in der Falle: Kein europäisches Land nimmt sie mehr ohne Visum auf.

Nach monatelangem Tauziehen zog die österreichische Regierung die Einführung des Visumzwangs für Menschen mit „serbisch-montenegrinischen Pässen“ (Neu-JugoslawInnen) in der vergangenen Woche in einer eiligen Nachtaktion durch. Am Mittwoch morgen lag der Antrag den Mitgliedern des sozialdemokratisch-konservativen Kabinetts fix und fertig auf dem Tisch und wurde ohne irgendeinen Widerspruch abgesegnet. Wohl um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, ließen zwei Minister anschließend der Presse mitteilen, sie hätten sich bei der Unterschrift unter die Bannbulle „nicht so recht wohl gefühlt“.

Zuvor hatte die österreichische Regierung immer wieder versucht, die europäischen Nachbarländer zu einer Zusammenarbeit bei der Aufnahme der Flüchtlinge zu bewegen. Besonders hartnäckig verhandelten die WienerInnen mit den Innenministern aus Bonn und Bern. Doch die Bundesrepublik und die Schweiz blieben hart. „Bundesinnenminister Seiters war nicht einmal bereit, die Kriegsflüchtlinge, die vor der deutschen Botschaft in Salzburg warteten, aufzunehmen“, beschreibt der Sprecher des Wiener Innenministeriums, Walter Kratzer, die unerfreulichen Verhandlungen. Am Ende ließ auch Österreich, das rund 45.000 Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien beherbergt, die Schlagbäume herunter. „Das Land geht über vor Flüchtlingen, wir können keine Quartiere mehr auftreiben. Da blieb uns nichts anderes übrig, als den Zugang zu beschränken“, begründet Kratzer die Einführung des Visumzwangs.

Nur Menschen, die nachweisen können, daß sie tatsächlich Kriegsopfer sind, dürfen jetzt noch in die Alpenrepublik. Die Einteilung in „echte“ und „falsche“ Flüchtlinge obliegt Grenzbeamten, die in einem zweitägigen Crash-Kurs auf ihre neue Aufgabe vorbereitet wurden. Als Hilfestellung gab der Zollamtsdirektor im österreichischen Klingenbach, Alfred Deimel, seinen restlos überforderten Mitarbeitern den Tip: „Wenn der Einreisewillige eine Schußverletzung aufweist, dann kann er sicher durch.“

Ungarn, wo sich rund 100.000 Kriegsvertriebene allein aus Bosnien-Herzegowina aufhalten, zog bei der österreichischen Eilaktion mit. Schon an der ungarisch-jugoslawischen Grenze werden „falsche“ Flüchtlinge vorsorglich aussortiert. Ganz im Stil der Wiener Diktion erklärte der ungarische Innenminister Boross am Wochenende: „Ungarn kann nicht mehr allein die Flüchtlingslast tragen.“

Hilfsorganisationen in Österreich bezeichneten die Regierungsaktion als „zynisch“. So erklärte Caritas- Pressesprecher Bergmann, es sei nicht einzusehen, daß der Visumzwang eingeführt wurde, ohne zuvor den österreichischen „Katastrophenplan“ in Kraft zu setzen. Das Land verfüge noch über eine zusätzliche Kapazität von mindestens 10.000 Plätzen. Man habe nur „einfach nicht gewollt“.

SprecherInnen anderer Organisationen erinnerten daran, daß es vor exakt einem Jahr, als eine große Fluchtwelle aus Slowenien drohte, möglich war, sehr viel mehr Flüchtlingsunterkünfte bereitzustellen als jetzt, da es um Menschen aus den moslemisch besiedelten Gebieten Ex-Jugoslawiens gehe. Konkrete Hilfsangebote für bosnische Flüchtlinge kamen zuletzt aus österreichischen Schulen, wo gerade die zweimonatigen Sommerferien beginnen. DirektorInnen und LehrerInnen erklärten in offenem Widerspruch zur Regierung in Wien, daß das Land sehr wohl noch über freie Kapazitäten verfügt. Vorübergehend zumindest, so ihr humanitäres Angebot, könnten einige zehntausend Flüchtlinge in Klassenzimmer einziehen. Dorothea Hahn