Das Ende für Pfefferküchler und Stuhlbauer

Jahrhundertealte sächsische Handwerksstände wurden im Einigungsvertrag schlicht vergessen/ Die Handwerkskammer ordnet den traditionsreichen Handwerksstand der Stühlebauer den Tischlern zu, Pfefferkuchenbäcker dem Konditoren- oder Bäckerhandwerk  ■ Aus Rabenau Detlef Krell

„Zu Hause sitze ich auf Rokoko.“ Wenn Stuhlbauermeister Dieter Bormann von Chippendale und geschweiften Beinen erzählt, sprechen seine Hände. Seit dreizehn Generationen baut seine Familie Stühle. 1665 gehörten seine Ahnen zu den ersten, die im Raum Rabenau und Oelsa, in den Wäldern vor Dresden, dieses Handwerk begründeten.

In der DDR hielten es die Meister am Leben. Als Stuhlbauer durften sie ihre Lehrlinge zwar nicht ausbilden. Sitzmöbeltischler hieß der Beruf, dann Facharbeiter für Holztechnik/ Spezialisierung Stuhlbau; „aber wir haben nach eigenem Gutdünken ausgebildet und geprüft. Wer Stuhlbauer werden wollte, mußte sein Gesellenstück vorlegen“, das forderte die Berufsehre. „Wir benutzen andere Werkzeuge als die Tischler und brauchen spezielle handwerkliche Fertigkeiten.“ Auch mit den Serientischlern in den Stuhlfabriken möchten sich die Rabenauer nicht auf das gleiche Chippendalesofa setzen lassen. „Wenn ich mir nur mal die Zehen an den sogenannten Stilmöbeln ansehe, die laufen ja davon, so schief wie die sind.“

Doch die Autoren des Einigungsvertrages sahen den Stühlen nicht auf die Zehen. Für sie waren Stühle Möbel und Stuhlbauer Tischler. Einen Stuhlbauer gibt es in den alten Bundesländern nicht. „Hier waren schon Leute aus dem Westen, die bekamen dort nirgends ihre Stühle restauriert. Kürzlich war ein englischer Offizier da, aus West-Berlin. Er hatte einen Biedermeierstuhl und wollte dazu einen Armlehnsessel. Ich konnte ihm das machen.“

Zehn Stuhlbauermeister arbeiten noch in Rabenau und Oelsa. Wenn es nicht gelingt, den Stuhlbauer in die Anlage A der Handwerksordnung aufzunehmen, läßt sich das Ende der dreihundertjährigen Tradition ziemlich genau prognostizieren. Auftragsmangel sei es nicht, was den Stuhlbauern zu schaffen macht, obwohl sie heute schon mal „Holzmord“ begehen müssen, statt „die Hände spielen zu lassen“ und Holz zu gestalten. „Ich habe vom Kunstgewerbemuseum Pillnitz die Lizenz erhalten, sächsische Barockmöbel nachzubauen. Überall, wo historische Bauten wiederentstehen, braucht man Sitzmöbel.“

Aber die Funktionäre der Handwerkskammer scheinen lieber an ihre eigenen Stühle als an die Rabenauer Stuhlbauer zu denken, schimpft der Meister. Im Januar vergangenen Jahres hatten sie den Deutschen Handwerkskammertag gebeten, über das Problem mal nachzudenken.

Doch vom Nachdenken allein rückt in Bonn noch kein Stuhl.

Was für Rabenau die Stühle, sind für Pulsnitz die Pfefferkuchen. In der Backstube von Lutz Tenne duftet es auch mitten im Sommer weihnachtlich. Seit mehr als vierhundert Jahren werden in Pulsnitz Pfefferkuchen gebacken. Herzen und Spitzen, Dominosteine und Märchenfiguren sind herzhaft-süße Spezialitäten auf sächsischen Jahrmärkten. „Wir wollen Handwerker bleiben und mit frischer Ware an die Leute ran“, sagt Pfefferküchler Tenne und sticht ein Sternchen in den Teig. „Bei den Nürnbergern schmecken die Nelken vor“, bekrittelt er das Weihnachtsgebäck der Konkurrenz. Dort sind die Pfefferküchler längst in Industriebetrieben verschwunden. So soll es auch in Sachsen werden, denn wie die Rabenauer Stuhlbauer hat der Einigungsvertrag die Pulsnitzer Pfefferküchler vergessen. „Wir sind keine Bäcker und keine Konditoren“, ruft Lutz Tenne dem Blech mit buntbemalten Pantoffeln hinterher, das jetzt im Ofen verschwindet, „wir arbeiten mit ganz anderen Zutaten, Gewürzen.“

Deshalb schickten die acht Pulsnitzer Pfefferküchlermeister schon mal den örtlichen CDU-Bundestagsabgeordneten mit einem Dominostein nach Bonn, und ein Möllemannscher Ministerialdirigent packte sich eine Tüte Pulsnitzer Spitzen ein. Es half alles nichts. Sogar der Kanzler soll einen braunen Pfefferkuchenstern gekostet haben. Nun hat Sachsens Landwirtschaftsminister Rolf Jähnichen (CDU) angekündigt, er wolle Sachsen zur „Backstube Deutschlands“ machen. Landesmutter Ingrid Biedenkopf weiß auch ein Rezept: „Ich kann mich ganz auf meinen Mann verlassen“, der den kurzen Draht klingeln läßt. Währenddessen sind die Pulsnitzer mit Frankreich, Österreich, der Schweiz im Gespräch. Europa kommt auf den Geschmack sächsischer Pefferkuchen.

Lutz Tenne würde die Küchlerei gern an Sohn Sören übergeben, wenn dieser den Meisterbrief an den Familienstammbaum heftet. Das fällt aus, wenn sein Stand in einen Topf mit ähnlichen Berufen geworfen wird und darin verschwindet. Pulsnitz und Rabenau könnten sich mit ihren Pfefferküchlern und Stuhlbauern etwas bewahren, was diese sächsischen Kleinstädte über Jahrhunderte prägte, den goldenen Ruf traditionsreichen Handwerks.

Sie haben es nötig. Fabriken gibt es dort nicht mehr. Pulsnitzer Textilien, Rabenauer Industriemöbel, das war einmal.