Spediteure sind die eigentlichen Täter

■ Die in Frankreich eingeführte Verkehrssünderkartei soll die Könige der Landstraße disziplinieren — doch Rasen und zu viele Stunden auf dem Bock sind Teil des Systems

„Bußgelder bringen nichts, das zahlen die aus der Portokasse.“ Der Dortmunder Verkehrswissenschaftler Heinz Klewe bringt das Urteil der bundesdeutschen Fachleute auf den Punkt. Zweifellos ist die in Frankreich gerade eingeführte Verkehrssünderkartei Anlaß für den chaotischen Streik der Könige der Landstraße.

Auch die Niederlande haben ein solches System. Doch in der Bundesrepublik Deutschland haben Strafen für zu schnelles Fahren und das Punktekonto in Flensburg nur sehr bedingt dazu geführt, daß bundesdeutsche Lastkraftwagen vorbildlich durch die Lande gekutscht werden.

Natürlich müßten die Raser auf dem Bock des Brummi und die Fahrer, die 1.200 Kilometer am Stück auf Europas Straßen rollen, aus dem Verkehr gezogen werden — sie gefährden schließlich den Verkehr und Menschenleben. Aber den zentralen Ansatzpunkt für eine wirkliche Verbesserung der Verkehrssicherheit bilden die Spediteure. „Wenn so ein LKW beim zu schnellen Fahren erwischt wird, müßte der Laster einfach für einige Tage stillgelegt werden“, so Klewe. Das würde den Spediteur treffen, der mit seiner Terminplanung durcheinandergerate und womöglich Konventionalstrafen zahlen müsse. „Das ist die einzig wirksame Waffe.“

Kölns Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes, Deutschlands bekanntester LKW-Stopper, stößt ins gleiche Horn. Von hundert Lastkraftwagen, die bei den dichten Kontrollen in seinem Regierungsbezirk angehalten würden, verstießen siebzig gegen die Straßenverkehrsordnung. „Fünfzig bis sechzig von ihnen fahren zu schnell, zehn Prozent verletzen die Sozialvorschriften. Das heißt, die Fahrer sitzen zu lange auf dem Bock, und noch einmal fünf Prozent weisen technische Mängel am Fahrzeug auf.“

Wenn der Rausschmiß droht...

Wenn Speditionen wiederholt auffallen, geht der Kölner Regierungspräsident deshalb mit härteren Bandagen zur Sache. „Wir haben schon mehrfach Bußgelder von über 50.000 Mark gegen Speditionen verhängt. Am wirksamsten ist aber die Drohung, der Firma die Konzession zu entziehen.“

Antwerpes' Zahlen decken sich mit denen einer großangelegten Studie der Bundesanstalt für das Straßenwesen. Auch die Anstalt aus dem Hause des Verkehrsministers Günther Krause kam zu dem Ergebnis, daß es die Mehrheit der überprüften Brummifahrer mit den Verkehrsregeln nicht so genau nehme. Und die französische Polizei berichtete 1991 von 19.600 LKW-Fahrern, die bei Geschwindigkeitsüberschreitungen erwischt worden seien; reichlich 7.000 kontrollierte Fahrer hätten zulang am Steuer gesessen.

Ein europaweites Phänomen: die Mehrheit der LKW-Fahrer fährt zu schnell oder zu lange an einem Stück, um die Fracht schneller an den Zielort zu bringen. Und gleichzeitig verlieren die staatlichen Bahnen mit ihren Arbeitszeitvorschriften Marktanteile.

Nun ist das Rasen auch für die Könige der Landstraße kein Selbstzweck. Rasen und die gefährlichen Überstunden am Steuer gehören vielmehr zum System. Ein Großteil des Verdienstes der Brummi-Fahrer besteht in Deutschland wie in Frankreich aus Zuschlägen für pünktliche und schnelle Lieferung und für Überstunden. Gleichzeitig setzen die Spediteure einen engen Terminplan, der durch den ersten besten Stau schon gar nicht mehr erfüllbar wird — vorausgesetzt, der Fahrer hält sich an die Verkehrsregeln. Ein Fahrer aus den fünf neuen Ländern habe kürzlich einen Schrieb vorgelegt, in dem sein Chef bestätigt habe, daß er ihn „verpflichtet hat zu fahren — trotz der technischen Mängel des Fahrzeugs“.

„Die Fahrer stehen schon mächtig unter Druck“, weiß Klewe. „Wenn Sie sonst die Termine nicht einhalten können und der Rausschmiß droht, was würden Sie machen?“ Franz-Josef Antwerpes hat nicht nur die Spediteure auf dem Kieker. „Die LKW- Produzenten bauen Wagen, die die Fahrer zum Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit geradezu verleiten. Das ist Teil des Verleitsystems.“ Hermann-Josef Tenhagen