Trucker weichen auch vor Panzern nicht

■ Eine Woche nach Beginn militanter Fernfahrerproteste gegen eine geplante Verkehrssünderkartei haben sich gestern die Fronten weiter verhärtet: Während Polizeisondertruppen mit Panzern LKWs...

Trucker weichen auch vor Panzern nicht Eine Woche nach Beginn militanter Fernfahrerproteste gegen eine geplante Verkehrssünderkartei haben sich gestern die Fronten weiter verhärtet: Während Polizeisonder- truppen mit Panzern LKWs abräumten, errichteten Fernfahrer nur wenige Kilometer weiter neue Straßensperren.

Die Kraftprobe zwischen den französischen Fernfahrern und der Staatsgewalt schaukelt sich hoch. Am Montag morgen ließ die Regierung erstmals Panzer anrollen, um eine seit acht Tagen stehende LKW-Sperre auf der Nord-Autobahn zwischen Lille und Paris gewaltsam zu entfernen. Unter Aufsicht von 500 Polizisten einer Sondereinheit kämpfte ein Panzer mit einem abgestellten Truck, dessen Bremsen blockiert waren. Eine halbe Stunde dauerte es, um den Laster unter dem Hupen der Fernfahrer gerade mal zehn Meter wegzuschleppen; dabei wurde der Wagen beschädigt. Anschließend hoben die übrigen Trucker die Blockade freiwillig auf— um einige Kilometer weiter eine neue Sperre aufzubauen.

„Das ist die größte Dummheit, die sich die Regierung leisten konnte“, sagte Marc Blondel, Chef der Gewerkschaft „Force Ouvrières“, nach einem Gespräch mit Regierungschef Béregovoy. Sein Kollege von der Autonomen Transportgewerkschaft FAT, Denis Esther, glaubt ebenfalls, daß Paris den Fernfahrern auf diese Weise nur zu neuer Entschlossenheit und Popularität verhilft: „Da der Streik vielen Leuten den Urlaub vermasselt und auch Versorgungsprobleme auftauchen, wurde er langsam unpopulär. Der Einsatz von Gewalt dagegen bringt uns neue Unterstützung. Gegen so etwas revoltieren die Franzosen sofort.“

Die Regierung will die Machtprobe dennoch fortsetzen. „Unsere Aufgabe ist es, die Demokratie zu schützen“, sagte Innenminister Paul Quilès. Er könne nicht zulassen, daß ganz Frankreich wegen der sozialen Probleme einer einzigen Gruppe lahmgelegt werde. Nachdem die Verhandlungen am Wochenende nicht die geringste Aussicht auf Entspannung gebracht hatten, stellte Quilès ein großes Aufgebot zusammen, um Frankreich aus dem Griff der Fernfahrer zu befreien: 13.000 Bereitschaftspolizisten, 12 Panzerfahrzeuge, 21 Hubschrauber und sogar Transall-Maschinen zum Transport der Mannschaften. Die Polizeipräfekten forderte er auf, die Personalien der aufsässigen LKW-Fahrer festzustellen und ihnen die Führerscheine zu entziehen. Wer sich jetzt freiwillig in Bewegung setzt, solle straffrei bleiben, so der Lockruf des Innenministers. Bis zum Wochenende hatte die Polizei tausend Geldstrafen verhängt, 69 Fernfahrer waren angeklagt, sechs in Polizeigewahrsam genommen. Ausländischen LKWs wurde am Montag an der belgischen-französischen Grenze die Einreise verweigert.

Die Fernfahrer kämpfen dafür, daß der zum 1. Juli eingeführte Sechs-Punkte-Führerschein für sie Sonderregeln erhält. Viele fordern, daß auch — oder ausschließlich — die Unternehmer belangt werden, wenn nachgewiesen werden kann, daß sie die Fahrer zu überhöhter Geschwindigkeit gezwungen haben. Andere verlangen Pluspunkte für unfallfreies Fahren oder eine Erhöhung der Punktezahl. Es gibt Gerüchte, daß Spediteure den Protest der streikenden Fahrer schüren, um an ihren haarsträubenden Arbeitsbedingungen festhalten zu können; sie sollen sogar für Verpflegung an den Sperren sorgen. Präsident Mitterrand zeigte kürzlich Verständnis für die Fernfahrer, als er sie als „Leibeigene von heute“ bezeichnete.

Besonders betroffen von den Blockaden ist weiterhin das Rhône- Tal mit Lyon, der zweitgrößten Stadt Frankreichs. Nach Informationen der Arbeitgeber leidet dort die Hälfte der Betriebe unter den Lieferproblemen; auch Obst und Gemüse sind knapp geworden. Aus Wut über die schwierige Auslieferung ihrer Ernte blockierten am Sonntag und Montag früh einige Obstbauern auch noch die Gleise im Rhône-Tal. Die wichtigste Nord-Süd-Verbindung zwischen Paris und der Mittelmeerregion war dadurch stundenlang unterbrochen. In Paris war die Versorgungslage normal; dafür sorgte ein großes Aufgebot von Sicherheitskräften, das die Zufahrt zum Großmarkt in Rungis aufrechterhielt. Auch hatten die Blockaden am Wochenende Todesopfer gefordert: In Montpellier, Toulouse und Fontainebleau starben vier Menschen, darunter ein deutscher Tramper, weil ihre PKWs in unbeleuchtete Blockaden hineingerast waren. Auf der Nordautobahn wurde ein deutscher Autofahrer von Truckern verprügelt, nachdem er versucht hatte, die Sperre auf dem Standstreifen zu umfahren.

Obwohl keine Ende der Krise absehbar ist, hat die Regierung bislang nur zwei Verhandlungskommissionen eingesetzt: eine Kommission unter Beteiligung der Sozialpartner im Bereich Transportwesen erörtert die Arbeitsbedingungen der Fernfahrer, eine „Folgekommission“ berät über die konkrete Anwendung des umstrittenen Punkte-Führerscheins; an den letzten Gesprächen am Freitag abend waren nach Informationen der FAT 50 Personen beteiligt. Erschwerend kommt hinzu, daß nur drei Prozent der angestellten Fernfahrer gewerkschaftlich organisiert sind; sie werden noch dazu von sieben Organisationen vertreten! „Die Basis hört ja gar nicht mehr auf die Gewerkschaften“, sagt Denis Esther von der FAT, die 8.500 Mitglieder zählt. „Die Fernfahrer wollen jetzt jeder für sich etwas herausschlagen.“ Die Gewerkschaften versuchen nun, die anarchistische Streikbewegung zu strukturieren: Sie riefen am Montag alle LKW-Fahrer auf, die Arbeit niederzulegen — ohne Blockaden zu bauen. Gestern nachmittag wollten die Sozialpartner erneut zu Beratungen zusammenkommen. Bettina Kaps, Paris