„YELLOW MAMA“ UND DER STAATSANWALT Von Andrea Böhm

Möglicherweise müssen im Weißen Haus demnächst die Umzugskisten gepackt werden. Die Demoskopen — und offenbar auch die Wähler — meinen es nicht gut mit George Bush. Doch vorher verteilt der Präsident noch Posten und Pöstchen — und da gibt es vor dem 3. November einiges zu besetzen. Zum Beispiel fehlen auf zahlreichen Sesseln der US-Bundesgerichte, der Instanz unter dem Obersten Gerichtshof, die passenden Gesäßteile. Auf einem soll nun Ed Carnes, Staatsbürger aus dem Bundesstaat Alabama, Platz nehmen. Das ist, um es gleich vorwegzunehmen, keine komische Angelegenheit. Was Ed Carnes für einen solchen Posten qualifiziert, ist bislang ein wohlgehütetes Geheimnis. Denn Erfahrung als Richter oder gar Wertschätzung für bestimmte juristische Errungschaften kann man Carnes nicht nachsagen, wohl aber eine ausgeprägte Affinität zu „Yellow Mama“. Das ist der Kosename, den sich die Vollzugsbeamten in Alabama für den elektrischen Stuhl ausgedacht haben.

Ed Carnes ist Staatsanwalt und seit 1981 an der Spitze der Abteilung für Kapitalverbrechen. Der Mann hat in seiner Amtszeit in Mordprozessen eine Rekordzahl von Todesurteilen durchgesetzt, von denen acht bereits vollstreckt wurden — und Ed Carnes gehört zu der privilegierten Gruppe von Amerikanern, die in ihrem Beruf nicht nur Gelegenheit zum Geld verdienen, sondern auch ihre Erfüllung sehen. „Das ist eine solch interessante und herausfordernde Arbeit“, gestand er unlängst. „Manchmal kann ich gar nicht glauben, daß ich dafür auch noch bezahlt werde.“

Und zwar nicht schlecht. „Mr. Death Penalty“, wie ihn eine Zeitung getauft hat, bringt jährlich 100.000 Dollar nach Hause, und gehört damit zu den höchstdotierten Beamten im Bundesstaat. Schon das unterscheidet ihn ganz gewaltig von seinen Gegnern im Gerichtssaal: den Angeklagten, die meistens zu arm sind, um sich einen erfahrenen Privatverteidiger zu leisten; und den Pflichtverteidigern, die in Alabama für die Vorbereitung zu einem Mordprozeß, der mit dem Todesurteil enden kann, nicht mehr als 1.000 Dollar bekommen. Wem das Leben seines Mandanten etwas wert ist, der verbringt nach konservativen Schätzungen mindestens 500 Stunden, um sich auf die Verhandlung vorzubereiten — was ergo einen Stundenlohn von zwei Dollar ausmacht. McDonald's zahlt inzwischen mehr für das Aufschichten von Hamburgern.

Ed Carnes ist trotzdem überzeugt— und erzählt das auch jedem — daß die Insassen der US-Todestrakte allesamt gute Anwälte hatten. Was ungefähr so wahrheitsgetreu ist wie die Behauptung, Raucher seien am Ozonloch schuld. Was wiederum Carnes nicht davon abhält, gegen die Berufungsmöglichkeiten der Verurteilten zu Felde zu ziehen, die seiner Meinung nach viel zuviel Zeit und Geld in Anspruch nehmen.

Carnes' Meisterstück aber ist das Todesstrafengesetz von Alabama, das seine Handschrift trägt. Einzigartig in den USA, erlaubt es dem Richter, selbst dann die Todesstrafe zu verhängen, wenn die Geschworenen eine lebenslange Freiheitsstrafe ausgesprochen haben. Etwa ein Viertel der 115 zum Tode Verurteilten in Alabama säßen sonst nicht in unmittelbarer Nähe des elektrischen Stuhls. Sollte Carnes vom US-Senat bestätigt werden, was sehr wahrscheinlich ist, dürften ihn die meisten wiedersehen: als Bundesrichter in ihrem Berufungsverfahren.