Lesben und Schwule im Mexiko fordern sexuelle und politische Freiheit

■ Einen der Köpfe abhacken

Einen der Köpfe abhacken

Mexiko-Stadt (taz) — „Die Intoleranz ist ein Ungeheuer mit tausend Köpfen, das immer wieder unter- und auftaucht“, schreibt der mexikanische Journalist Jorge Alberto Manrique. Was ihn zu diesem Satz veranlaßte, waren die Anfeindungen und Schwierigkeiten, mit denen die Organisatoren der sechsten Lesben- und Schwulenwoche in Mexiko- Stadt, vom 20. bis 28. Juni, zu kämpfen hatten. Denn die traditionell im Juni stattfindende Veranstaltung dauerte diesmal nur fünf Tage. Die Ausstellungsfläche wurde ebenfalls begrenzt. Anstatt der zweihundert im Vorjahr ausgestellten Kunstwerke konnten dieses Jahr nur 60 gezeigt werden.

Schon Monate vor der Eröffnung gab es Streitereien in der Presse. Während sich die Leiterin des Universitätsmuseums Chopo, Monserrat Gali, auf verwaltungstechnische Positionen zurückzog, man habe sich zu spät um den Veranstaltungsort beworben, glaubt Miguel Angel Covarrubias, Begründer des homosexuellen Kulturkreises und Mitveranstalter der Woche, daß diese Gründe nur vorgeschoben seien. Für ihn ist der später dementierte Ausspruch der Direktorin charakteristisch für die Intoleranz der mexikanischen Gesellschaft gegenüber Homosexuellen: „Die Museumsbesucher des Chopo müssen befürchten, daß ihre Kinder beim Anblick von erotischer Kunst Schaden nehmen.“

Monserrat Gali mußte sich jedoch mit diesem möglichen Schaden abfinden. Denn die Intervention von namhaften Künstlern und Intellektuellen wie Carlos Monsivais, Elena Poniatowska, dem Schriftsteller José Emilio Pacheco und der Theatermacherin Jesusa Rodriguez und anderen unterstützten die Veranstalter in einem offenen Brief. Darin verurteilten die Unterzeichner die willkürlichen Übergriffe und die Hetze der Polizei gegen Homosexuelle und forderten dazu auf, die Kampagne der Lynchjustiz zu beenden. „Es ist notwendig, die Menschenrechte und die zivilen Rechte aller Bürgerinnen und Bürger anzuerkennen.“

Daß dies bisher nicht der Fall war, zeigen die jüngsten Veröffentlichungen von amnesty international. Allein in diesem Jahr wurden mindestens zwanzig Homosexuelle im Bundesstaat Ciapas ermordet. „Aus Angst vor Repressalien haben viele Familien sich nicht einmal getraut, die Leichen ihrer Angehörigen zu identifizieren“, so Alonso Fernández Guasti, Direktor von ai Mexiko auf dem Diskussionsforum Menschenrechte innerhalb der Veranstaltungsreihe.

Homosexualität ist in Mexiko zwar nicht strafbar, doch gibt es „Verordnungen“ zum Verhalten in der Öffentlichkeit. Darin heißt es, daß etwa die Aufforderung zur, das Zulassen und das Ausüben von Prostitution gegen die guten Sitten verstoße. Was dann jeweils als Prostitution angesehen wird, ist jedoch Interpretationssache. Im Zentrum um den Alamedapark, Treffpunkt von vielen Schwulen, werden immer häufiger Razzien durchgeführt. „Schon der Besitz eines Kondoms bringt einen in den Verdacht der Prostitution“, erzählt der siebzehnjährige José Angel Vazquez, den man mit Fußtritten traktierte, in ein Polizeiauto zerrte und 36 Stunden festhielt. Er und seine Leidensgenossen sitzen oft stunden- oder tagelang in Haft. Wenn sie die geforderte Geldstrafe oder die Schmiergelder nicht zahlen können, drohen ihnen Mißhandlungen und Vergewaltigungen.

Diese Menschenrechtsverletzungen, die aus Angst der Opfer nicht angezeigt werden, wurden im Rahmen der Veranstaltungsreihe öffentlich gemacht. Weitere zentrale Punkte waren die Aids-Prävention, Safer Sex und die Aids-Behandlung in Krankenhäusern. Lesbische Frauen diskutierten über Mutterschaft und die rechtliche Gleichstellung von homosexuellen Lebensgemeinschaften.

Seit dem Coming-out der Schwulen- und Lesbenbewegung sind einundzwanzig Jahre vergangen. Vor dreizehn Jahren gingen die Homosexuellen zum ersten Mal auf die Straße. Obwohl das Outing als politische Waffe in Mexiko nicht gebräuchlich ist, outeten sich vorletzten Samstag Hunderte von Gays selbst. In provozierenden Kostümen zogen sie durch die Touristen- und Renommierviertel der Stadt und verteilten Kondome. Mit Plakaten und Spruchbändern, die „politische und sexuelle Freiheit“ forderten, setzten sie ihren Kampf gegen das tausendköpfige Ungeheuer der Intoleranz fort, um wenigstens einen der Köpfe abzuhacken. Auf daß er nicht mehr nachwachse! Ute Sturmhoebel