Almosen, Hilfe und Rache

■ Zum Tod des größten spanischen Flamenco-Sängers Camarón de la Isla

Mehr als 50.000 Trauernde haben am vergangenen Wochenende in dem andalusischen Dorf San Fernando einen Zigeuner zu Grabe getragen. Er wurde Camarón de la Isla genannt und starb mit 41 Jahren an Lungenkrebs. Während der Tote unter Händeklatschen ins Grab gesenkt wurde, haben Spaniens Musiker Trauer angelegt. Mit Camarón starb der zur Zeit größte Sänger des Flamenco, dem es gelungen war, gleichzeitig traditionsbewußt und erneuernd zu wirken, und der als einer der ganz wenigen auch im Ausland Erfolg hatte.

„Camarón führte den Flamenco- Gesang bis an jenen Abgrund, wo die Menschen nur drei Dinge zu tun vermögen: Almosen, Hilfe und Rache fordern. Almosen gegen die radikale Einsamkeit. Hilfe gegen die fürchterliche Unruhe, die aus dem Leiden jedes wirklich nackten Bewußtseins stammt. Und Rache gegen dieses Schicksal, das uns in die Welt setzt mit einem Bedürfnis nach Ewigkeit und Glück und uns dann schlägt, zerbricht und tötet.“ So sieht der spanische Schriftsteller Felix Grande den Flamencosänger. In der zärtlichen, rauhen Stimme von José Monge, „Camarón“, lag „Duende“, die Magie, die, wie der Sänger selbst einmal versicherte, nur Zigeuner haben, und die den tragischen Flamencogesang beseelt und dem Publikum ein begeistert-trauriges „Olé!“ entreißt.

José Monge war Zigeuner, wie die meisten Flamenco-Musiker, und sein Heimatort, Isla de San Fernando, liegt mitten in jenem andalusischen Streifen zwischen Huélva und Cádiz, in dem der Flamenco zu Hause ist. Aufgrund seiner für einen Roma ungewöhnlich weißen Haut war er früh „Camarón“, Garnele, genannt worden. Sohn eines früh verstorbenen Schmiedes, sang er schon als Kind auf Festen der Zigeuner. Mit zwölf Jahren trat er in einer kleinen Kneipe seines Heimatortes auf, um zum Lebensunterhalt beizutragen. Wenige Jahre später folgte der Sprung in die „Tablaos“, die Flamenco-Kneipen in Madrid, wo er schon bald zum Idol wurde — sowohl seines Publikums als auch und vor allem der Gemeinschaft der Zigeuner. In seinem „Cante jondo“, der tiefsten, dramatischsten Version des Flamenco, lebte die alte Flamenco- Tradition mit ganz persönlichen Neuerungen auf. Zehn Schallplatten machte er in Begleitung des bekannten Flamenco-Gitarristen Paco de Lucia, eines Payos (Nichtzigeuners), danach spielte vor allem der junge Zigeuner Tomatito für ihn, den er entdeckt hatte und der zu seinem Schatten wurde.

José Monge war einer der ganz wenigen Roma, denen der Durchbruch in die Welt der Payos, der Nichtzigeuner, gelang, und der gleichzeitig immer deutlich machte, daß er zu den anderen, zu den Seinen gehörte. Er heiratete eine Zigeunerin, Dolores Montoya, „Chispa“, mit der er vier Kinder hatte, verdiente viel Geld und gab es schnell wieder aus. Er wechselte vom Joint zum Kokain, später nahm er Heroin. Schon immer zierlich, wurde der Sänger mit der langen, gelockten Mähne immer durchscheinender. Seine Konzertabsagen trugen zu seinem Mythos bei. Schüchtern wie er war, liebte er Auftritte nicht. Auch ist der Flamenco keine Musik für Aufführungen, keine Volksmusik. Der gepreßte, kehlige Gesang ist Ausdruck tiefen Leidens. Er entsteht spontan und endet spontan und bedarf der Anfeuerung durch die Anwesenden und eines gemeinsam erlebten Gefühls. Dennoch hat Camarón in zwanzig Jahren ebensoviele Platten aufgenommen, ist ins Ausland gereist und war der Höhepunkt der Flamenco-Festivals, die die Sommernächte vor allem in Andalusien krönen. Obwohl der Erfolg ihm den Zutritt zur Welt der Payos ermöglichte, blieb er dort doch immer Zaungast — wie den Payos die Welt der Zigeuner verschlossen bleibt.

„Der Bart und das sehr lange Haar verliehen ihm das Aussehen einer Heiligenfigur aus einer anderen Epoche“, schrieb der Filmemacher Carlos Saura nach Camaróns Tod. „Die Finger voller Goldringe und wertvoller Steine und die Armreife an den Handgelenken sprachen vom Erfolg und auch vom Bedürfnis, mit Dingen von mysteriöser Bedeutung zusammenzuleben.“

Die Zigeuner, die seine Konzerte besuchten — die Frauen in grellbunten Kleidern, die Männer in schwarzem Anzug, mit Hut und Stock — haben ihn jetzt unter Tränen begraben. Der Flamenco hat einen großen Künstler verloren. „Jedes Lied von Camarón war ein Kuß des Künstlers auf den Mund des Unheils. In dem Speichel dieses entsetzlichen und wunderbaren Kusses floß sein Flamenco-Gesang, entsetzlich und wunderbar. Wir hörten entsetzt und bewundernd zu. Während wir diese Lieder hörten, waren wir für kurze Zeit unsterblich“, schrieb der Schriftsteller Felix Grande.

Sie sagen von mir

Sie sagen von mir, daß mich die Zeit bedroht/ Sie sagen von mir, ob ich lebendig oder tot bin/ Und ich sage ihnen/ Solange mein Herz siedet/ werde ich meinen Feind besiegen. Antje Bauer