Kompromiß in Paris — neue Blockaden auf den Straßen

Paris/Straßburg (afp/ap/taz) — „Bremsen, Wut anhalten und Abgase inhalieren“ — das waren auch gestern die wichtigsten Verhaltensregeln auf Autobahnen und Landstraßen in Frankreich. Zwar hatten sich Regierung, ArbeitgeberInnen und die Vertretungen der LKW-FahrerInnen nach neunstündigen Verhandlungen in der Nacht zuvor auf einen „Kompromiß“ geeinigt, den Verkehrsminister Bianco als „beispiellos“ lobte. Doch viele Laster- FahrerInnen scherten sich nicht darum. Vor allem auf den Strecken zwischen Lyon und Marseille gab es am Nachmittag — neun Tage nach Beginn der Protestaktionen — noch zahlreiche Blockaden. Einige davon waren erst im Laufe des Tages neu hinzugekommen.

Der nächtens ausgehandelte Kompromißvorschlag enthält Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für LKW-FahrerInnen — darunter eine neue Pausenregelung und die Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 42 auf 41 Stunden. In Sachen Verkehrssünder- Kartei, deren Einführung zu den Blockademaßnahmen auf Frankreichs Straßen geführt hatte, verpflichtete sich die Regierung lediglich zur Gleichbehandlung aller AutofahrerInnen. Ferner wurde vereinbart, daß sich die Speditionsfirmen verpflichten, FernfahrerInnen eine gleichwertige Stelle anzubieten, wenn ihnen wegen Verkehrsverstößen der Führerschein entzogen wird.

Wegen der unverändert vorgesehenen Einführung einer Verkehrssünder-Kartei erneuerte die Fernfahrergewerkschaft FNTR gestern ihren Streikaufruf. Der Straßenverkehr blieb erheblich behindert. Obwohl die Polizei nach Angaben des Innenministeriums mehr als 100 Straßenblockaden auflöste und wieder zahlreiche Fernfahrer festnahm. Die Gewerkschaft protestierte gegen den neuerlichen Einsatz von Gewalt.

Das Europaparlament äußerte sich gestern besorgt über die wirtschaftlichen Konsequenzen der Bockaden. Zahlreiche kleine und mittlere Betriebe seien an den Rand des Ruins gebracht worden. „Katastrophal“ sei die Lage in spanischen und portugiesischen Urlaubsgebieten, wo bis zu 50 Prozent der TouristInnen wegen des Chaos in Frankreich ausgeblieben seien, sagte der spanische Sozialist Enrique Granell Sapena.

Mehrere konservative Abgeordnete forderten Frankreich auf, Entschädigungen zu zahlen. Die „neue Form der Geiselnahme“ habe „verhängnisvolle Folgen“ für die Wirtschaft in der gesamten EG. SprecherInnen der wichtigsten Fraktionen im Europaparlament forderten, die EG-Kommission müsse sich für europäische Arbeitszeitregelungen für Fernfahrer einsetzen und über einen einheitlichen Punkteführerschein nachdenken. Aus Brüssel hieß es, die Kommission habe dazu nicht die nötige Kompetenz.

Tödliche Konsequenzen der Blockaden werden aus der französischen Vaucluse gemeldet. Dort sind angeblich 3.000 Hühner aufgrund der Versorgungsengpässe verhungert. dora