Europäische Gemeinschaft hat Bremen vergessen

■ Politische Strukturen der Stadt passen nicht zum kommunalen Wahlrecht für EG-Ausländer

Der Maastrichter Vertrag bringt Bremen in erhebliche Schwierigkeiten. Und niemand kann bislang abschätzen, wie diese überwunden werden können. Der Grund findet sich in Artikel 8 des EWG-Vertrages: „Jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, hat in einem Mitgliedsstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive Wahlrecht bei Kommunalwahlen“, heißt es da. Klartext: Ein in Amsterdam lebender Bremer kann dort ebenso an den Wahlen teilnehmen wie ein in Bremen lebender holländischer Staatsangehöriger. Doch welches politische Gremium soll der Holländer hier mitwählen?

Denn eine kommunale Körperschaft, die mit Finanzhoheit und einem eigenen Verwaltungsapparat ausgestattet ist, gibt es in Bremen nicht. Die Ortsbeiräte haben viel zu wenig Kompetenzen, um dem Maastrichter Anliegen zu entsprechen. Und bei der Stadtbürgerschaft als eigentliche kommunale Vertretung gibt es ein anderes Problem. Die 80 Abgeordneten sind identisch mit denen, die für die Stadt Bremen im Landtag sitzen. Und der Landtag wiederum darf nach bisher geltender Rechtsprechung nicht von AusländerInnen mitgewählt werden.

„Machen wir es Bremerhaven nach“, heißt die scheinbar einfachste Lösung. Doch die scheidet für den Senat aus. Dort werden die Landtagsabgeordneten und die Stadtverodneten getrennt gewählt. Die Stadtverordnetenversammlung ist ein ausschließlich kommunales Parlament, die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Ausländer kein Problem. In Bremen aber hieße dies: Wenn die Stadtbürgerschaft getrennt gewählt würde, müßten konsequenterweise auch getrennt arbeitende Verwaltungen für die Stadt und das Land Bremen eingeführt werden. Außer dem Senat für Landesangelegenheiten müßte zusätzlich ein Magistrat als Stadtregierung gebildet werden. Die Folge: ein kaum durchschaubares Gewirr von Zuständigkeiten und erhebliche zusätzliche Verwaltungskosten.

Auch ein anderer Lösungsansatz scheidet für den Senat, der sich im Juni mit der Problematik befaßt hat, aus. Eine Ausnahmeregelung für Bremen — mit der Folge, daß EG-Ausländer hier nicht wählen könnten. Doch dies ist erstens politisch nicht erwünscht und würde zweitens von der EG kaum akzeptiert werden.

„Die Kommission hat die Stadtstaaten-Problematik nicht erkannt“, meint Justizstaatsrat Michael Goebel. Aus diesem Dillemma will der Senat, der sich im Juni mit dem Thema beschäftigt hat, nun mit einem Trick herauskommen, einer „Stadtstaatenklausel“ im Grundgesetz. „In den Ländern Berlin, Bremen und Hamburg können die Landesverfassungen vorsehen, daß dies (das Wahlrecht für EG-Ausländer, d. Red.) auch bei Wahlen zu den Landtagen gilt, wenn staatliche und gemeindliche Tätigkeit nicht getrennt sind oder eine Gemeindevertretung aus einem Teil des Landtages besteht“, heißt es in einem Vorschlag, den Bremen in die Verfassungsreform-Kommission des Bundes eingebracht hat. Doch bislang sind die Bremer mit ihrem Anliegen noch ziemlich allein. Obwohl auch Hamburg und Berlin ähnliche Probleme haben, kommt nur zögerliche Unterstützung aus Hamburg.

Vom Tisch sind die Bremer Vorschläge deshalb noch nicht. Die Verfassungskommission empfahl, „den Vorschlag Bremens zu prüfen und gegebenenfalls zu entscheiden.“ Dies soll bis September geschehen. Bis zum 31.12.1994 soll das Grundgesetz geändert werden, wenn die Landesverfassung analog novellliert würde, könnte schon zu den nächsten Bürgerschaftswahlen das Wahlrecht für EG-Ausländer gelten.

Doch dazu müßte in Bremen erst noch die Landesverfassung geändert werden. Bislang ist dazu ein einstimmiges Votum der Bürgerschaft erforderlich. Mit der DVU aber wäre ein ausgeweitetes Ausländerwahlrecht nicht machbar. Also müßte der Einstimmigkeitspassus erst einmal per Volksentscheid geändert werden.

Wenn die Bremer Vorschläge in Bonn aber durchfallen, ist guter Rat teuer. Die Alternative, fünf bis sechs größere Bezirke als neue Verwaltungseinheiten einzuführen, stößt im Justizressort auf wenig Gegenliebe. Dann, meint Staatsrat Goebel, müsse man Bremen konsequenterweise gleich in mehrere selbständige Städte zerlegen. Holger Bruns-Kösters