Neue Steuerbauwerke entlasten Gewässer

■ Nach fünf Jahren Bauzeit ist Bremens Kanalnetz jetzt auf der Höhe der Zeit

Jetzt können die Fische durchatmen: Dieses Rohr hält den Torfkanal scheißefreiFoto: Vankann

Seit gestern ist Bremen „Spitzenreiter“ in der bundesdeutschen Abwässerentsorgung; da stieg nämlich der Betriebsleiter Dieter Voigt in den Bremer Untergrund, um das „Steuerbauwerk Stern“ offiziell in Betrieb zu nehmen.

„Ein historischer Moment in der Abwässergeschichte Bremens“ freut sich der Chef der Bremer Entsorgungsbetriebe, denn ab sofort verhindern neue Steuerungssysteme im Kanalnetz, daß bei starkem Regen AnwohnerInnen und SpaziergängerInnen an den Regenüberläufen in Findorff und dem Bürgerpark ihre eigenen Exkremente wiederfinden.

Wie in den meisten Städten fließen auch in Bremen Schmutzwasser und Regenwasser in der

Regel die gleichen Abwasserkanäle. Bei heftigen Regenfällen erhöht sich die unansehnliche Brühe — in der Fachsprache Mischwasser genannt — um das 100fache und war von dem bisherigen Entsorgungssystem nicht mehr zu bewältigen. Durch die Modernisierung können die ohnehin vorhandenen unterirdischen Hohlräume als Stauräume für Abwässerströme genutzt werden. Die neuen Steuerbauwerke stellen eine Art Abwasserweichenstellung dar und können mit Hilfe von sogenannten Wehrklappen die Wasserfluten solange zurückhalten, bis die Pump-und Kläranlagen wieder Kapazitäten zur Verfügung haben. Dadurch würden die Bremer Gewässer deutlich

weniger belastet, so Betriebsleiter Voigt.

Mit der Inbetriebnahme des Steuerwerks Stern ist das 100 Millionen Mark teure Sanierungsprojekt des Mischwasser- Kanalnetzes Stadtmitte nach 5jähriger Bauzeit abgeschlossen. „Bei aller Bescheidenheit muß doch gesagt werden, daß Bremen in der Bundesrepublik eine Vorreiterrolle übernommen hat,“ sagte Entsorgungs-Betriebsleiter Voigt stolz. Schon in den 70er Jahre mußten sich die Bremer Abwasserentsorger über Verbesserungen im Kanalsystem Gedanken machen. Schon damals wurde deutlich, daß das Kanalnetz der Abwässer nicht mehr Herr wird. „Noch bis Mitte der 60er Jahre wurden, besonders im Winter, die Abwässer auf das Blockland geleitet,“ erzählt Voigt, „gleichzeitig wurde es als Eislauffläche genutzt: Wer da mal einbrach, stand bis zum Hals in der Scheiße.“

Durch das 2500 Kilometer lange unterirdische Kanalnetz fließen pro Jahr rund fünf Millionen Kubikmeter Mischwasser. Mit Hilfe von steuerbaren Unterwasserkameras, die in den nicht begehbaren Kanälen herumschwimmen, bekommen die EntsorgungsexpertInnen nicht nur Ratten auf den Bildschirm, sondern können auch Risse und Brüche in den teilweise sehr alten Bremer Kanälen ausmachen.

Täglich verbrauchen die BremerInnen pro Kopf durchschnittlich 135 Liter Trinkwasser. Mangels eines ökologisch sinnvolleren Trennsystems fließen diese Abwässer in dasselbe Kanalsystem wie das relativ saubere Regenwasser. Doch in den neuerschlossenen Gebieten werden die Abwässer bereits nach Wasserqualität getrennt entsorgt, so daß zum Beispiel das Regenwasser in Gräben versickern kann.

Die Belastungsprobe steht dem neuen System erst noch bevor. Denn zur Zeit herrscht in den Rohren Ebbe. Wegen der Urlaubszeit fließen 40.000 Kubikmeter weniger Richtung Klärwerk. Silke Mertins