100 Stufen in den Himmel

■ »Rheinströhm« — ein neues Konzept für einen neuen Veranstaltungsort in Steglitz

Für Kultur ist der Bezirk Steglitz nicht unbedingt die beste Adresse Berlins. Aber seit Mai residiert sie wenigstens im Gewerbehof der Firma Becker & Kries an der Rheinstraße. Im Turm des Gründerzeitbaus gelegen, ragt »Rheinströhm« in den Himmel und bietet eine Aussicht vom Alex bis zur Gedächtniskirche. »Wir wissen selbst nicht so genau, warum wir Rheinströhm heißen«, behaupten die Veranstalter, obwohl jedes Kind es ihnen erklären könnte: »Rhein« kommt von Rheinstraße und »ströhm« von den strömenden Zuschauermassen. Und sollten die mal etwas spärlicher eintrudeln, dann ist es der in Strömen fließende Schweiß, der dem Namen alle Ehre macht: Über 100 Treppenstufen muß bezwingen, wer auch nur einen Fuß in das Refugium über den Dächern setzen will.

Das »h« in »ströhm« gibt allerdings zum Nachdenken Anlaß. »Rheinströhm« will nicht einfach eine weitere Abspielstätte sein, die allerlei Gruppen einkauft. Veranstalter Gerald Wesolowski, 39, hat sich mit dem Ausbau der Halle einen Traum erfüllt. Schon seit ein paar Jahren trägt er seine Veranstaltungskonzeption in der Tasche. Was hier gezeigt wird, soll auch hier entstanden sein: »Wir bringen Künstler mit verschiedenen Medien zusammen, beispielsweise einen Maler und einen Musiker, die dann ein gemeinsames Projekt entwickeln.«

Zur Zeit ist der in Weiß gehaltene Raum mit archaisch anmutenden Objekten vollgestellt. Die Künstler Rheinheart und Duncan MacArthur präsentieren ihre Gemeinschaftsinstallation mit einer Performance. Ein Becken aus rostigen Blechteilen ist mit Wasser und Seetang gefüllt und verbreitet Seeluft. Drinnen steht Rheinheart und läßt mit brennenden Linien die Umrisse eines Dampfers auf der Blechwand entstehen. Aus eisernen Lautsprechern, die über einer bleibezogenen Chaiselongue hängen, klingt das vom Künstler vertonte Sterbelied von Else Laske- Schüler.

Ein ausrangierter Boiler ist als Rakete aufgemöbelt und wird von Sklaven, die sich in zwei kleinen Hütten aus Fiberglas verstecken, an eisernen Ketten hin- und hergezerrt. Derweil bearbeitet Duncan einen aufrecht montierten Balken mit einem scharfen Dolch. Vom Gesang unbeeindruckt, lockt der Koreaner Sa Woo Cheng scharfe Rhythmen und Klänge aus Trommel und Gong. Über der Szenerie durchquert ein Kupferrohr den Raum, das Wasser in das rostige Becken speit.

»Viele meiner Freunde liegen heute mit Aids im Sterben«, so erklärt Rheinhaert sein bleiernes Bett. Duncan hingegen möchte mit Wasserinstallation und Rakete Gewalt und Krieg verdeutlichen, speziell den Kampf um die irdischen Ressourcen.

Experimente mit Kunst und Kultur kosten neben Arbeit auch Bargeld. Noch wird an der Hallentür noch kein Eintritt kassiert, und Rheinströhm möchte auch weiterhin ohne öffentlichen Gelder auskommen. Die Kultur soll durch Vermietungen ihrer Residenz an zahlungskräftige Kunden finanziert werden — Steglitzer Modell eben. Jantje Hannover

Rheinströhm in der Rheinstraße 45, Aufgang 2, 5.Stock. Programm unter Tel. 8524740