Oberbaumbrücke droht heute die Räumung

■ Senat will mit den Bauarbeiten beginnen/ Keine Stellungnahme der Bauverwaltung/ Besetzer ahnungslos

Berlin. Dem Hüttendorf auf der Oberbaumbrücke droht heute die Räumung. Wie es aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen heißt, habe der Senat in seiner Sitzung am vergangenen Dienstag beschlossen, mit den Bauarbeiten heute zu beginnen. Die Bauverwaltung hatte bereits am Montag verkündet, daß sie die Besetzer räumen lassen wird, wenn sie die Arbeiten an der Brücke zwischen Friedrichshain und Kreuzberg behindern. Eine offizielle Stellungnahme war bis Redaktionsschluß weder von der Innen- noch von der Bauverwaltung zu erhalten.

Die Besetzer, die nach eigenen Angaben mit etwa 50 Leuten auf der Brücke übernachten, gehen davon aus, daß mit den Bauarbeiten erst am 3. August begonnen wird. Von dem Senatsplan, den Baubeginn auf den heutigen Tag vorzuziehen, wußten sie gestern am späten Nachmittag noch nichts. Sie richteten sich deshalb auf eine mehrwöchige Besetzung der Brücke ein. Dabei rufen sie Initiativen, aber auch einzelne Personen auf, das täglich um 20 Uhr tagende Plenum zu besuchen, um Aktionen und Veranstaltungen mit vorzubereiten. Nach dem gestrigen Stand will die Brücken-Ini heute abend um 22 Uhr einen Videofilm über die Situation der Berliner Hausbesetzer vorführen. Seit Anfang der Woche ist in manchen Berliner Off- Kinos ein Solidaritätsfilm zur Besetzung angelaufen. In dem einminütigen Streifen werden Bilder vom 10. Mai, als 20.000 Menschen gegen die Vervollständigung des Innenstadtrings demonstrierten, gezeigt.

Journalist widerspricht Polizeiversion

Die Darstellung, die die Polizei zu dem Autounfall am vergangenen Montag auf der Oberbaumbrücke gibt, scheint äußerst fragwürdig zu sein. Lutz Beckwerth, Chefreporter bei »Info-Radio-Berlin 101«, bestätigte gegenüber der taz die Version der Besetzer. Nach ihrer Darstellung war ein Autofahrer auf der für den Verkehr gesperrten Brücke in eine Menschengruppe gerast, erst daraufhin war sein Ford demoliert worden.

Beckwerth, der den Vorfall mit eigenen Augen beobachtet hatte, bezeugt, daß ohne jeden Anlaß der Fordfahrer aus dem Stand mit Vollgas auf 10 bis 12 Personen losfuhr. Die Gruppe habe zur Seite springen müssen, dennoch habe der Fahrer den 25jährigen Andreas F. mit seiner Motorhaube erwischt und erst danach gebremst. Dadurch sei F. von der Haube gerutscht und mit seinem Kopf auf die Straße aufgeschlagen. Erst dann seien an dem Wagen die Scheiben eingeschlagen und das Blech eingetreten worden. Anhand seiner Tonbandaufnahme sei der Hergang nachvollziehbar. Er, Beckwerth, habe dies der Polizei geschildert und dem Einsatzleiter seine Visitenkarte gegeben. Doch die Beamten hätten kein Interesse an seiner Zeugenaussage gehabt. Dirk Wildt