Ausgerechnet Äpfel

In Helma Sanders-Brahms' neuem Film „Apfelbäume“ geht das Begehren ziemlich seltsame Wege, und Bananen sind mega-out  ■ Von Michaela Lechner

Damit uns die Vorgänge in den neuen Bundesländern nicht länger fremd bleiben“, habe sie den Film gemacht, schreibt Helma Sanders-Brahms im Presseheft. Um „starke Gefühle, die plötzlich wieder aufbrechen“ hätte es gehen sollen. Tiefer in die Figuren habe man sich hineinversetzen wollen, um „ihre Abhängigkeiten und Hilflosigkeit zu verstehen“. Herausgekommen sind dabei 92 Minuten schnöder, klischeehafter Innerlichkeit: „Verdammt ich lieb dich, ich lieb dich doch.“

Apfelbäume spielt in der ehemaligen DDR, in der Gegend von Werder, dem havelländischen Obstanbaugebiet. Lena (Johanna Schall) ist um die Zwanzig und hat aus unerfindlichen Gründen eine gewisse Affinität zu Apfelbäumen. Vielleicht, weil sie irgendwie an den Sozialismus und das Motto „Für jeden DDR- Bürger einen Apfelbaum“ glaubt. Lena arbeitet auf den Apfelfeldern und verliebt sich in Heinz (Thomas Büchel), weil sie seinem Blick standhalten kann.

Lena und Heinz heiraten, beziehen den Plattenbau und widmen sich der Obstpflege. Bis LPG-Chef und Fiesling Hans Sienke (Udo Kroschwald) zwischen orangen Couchgarnituren und erregten Alpenveilchen auftaucht. Bronzig, bauchig, militärisch knappes Blondhaar, stechend blaue Augen. „Ich will dich“ und „ich krieg dich“ und „ich möchte mit dir schlafen“, sagt er zu Lena, die ihm augenblicklich verfällt. Und den geliebten Ehemann mehr oder weniger ins Gefängnis schafft und ihn zum Stasi-Spitzel aus Eifersucht werden läßt.

Man möchte wissen, was Hans hat, das Heinz nicht hat. Ist es die Macht? Die Leibesfülle? Manchmal geht das Begehren eben seltsame Wege. Lena, Heinz und Hans verstricken sich, betrügen sich, denunzieren sich, bis Hans in den Westen flieht und Lena schwanger zurückbleibt. Die Zeit verrinnt, die Mauer fällt, Sienke kommt fieser denn je mit Mercedes zu Besuch. Zuletzt kann sogar Lena die Augen nicht mehr verschließen. Am Ende besinnt das Ehepaar sich zurück, auf den Apfel, nachdem man kurzfristig der Banane verfallen war.

Apfelbäume protokolliert über einen Zeitraum von cirka 15 Jahren die Lebens- und Beziehungsgeschichte von Lena, Heinz und Hans. Und verknüpft die Schicksale der drei mit dem Niedergang des DDR-Regimes. Dazu nutzt der Film eine schlichte Metaphorik — Äpfel zum sattsehen, in allen erdenklichen Erscheinungsformen: knackig am Baum, faulig im Gras, überdimensioniert als grüne Pappdekoration, flüssig im Korn, zerstückelt auf Kuchen, abwesend an gefällten Bäumen.

Helma Sanders-Brahms bemüht sich bei ihrer Aufarbeitungs- und Verständigungsarbeit um kruden Realismus. Indem sie das Ambiente sorgfältig (re)konstruiert und Figuren auf authentischen Schicksalen aufbaut. Lena, Heinz und Hans haben das Leinwandgeschehen wirklich am eigenen Leib erlebt. Und doch gelingt es der Regisseurin nicht, den ProtagonistInnen auch nur eine Spur Leben einzuhauchen.

Ihrer Individualität beraubt, aufgespießt wie Schmetterlinge hinter Glas, werden sie Bestandteile einer undifferenzierten Schwarzweiß- Malerei. Damit Befindlichkeiten allgemeingültig sind und sich bilanzieren läßt, wie die Menschen in Ost und West eben so sind. Die einen sind kalt, berechnend und denken nur an Luxus und Kommerz (=Bananen). Die anderen sind eigentlich gut, vielleicht ein bißchen naiv, unterdrückt natürlich. Auf jeden Fall halten sie an ihren leisen Idealen fest (=Äpfel).

In Apfelbäume regiert das gesprochene Wort — trotz der stellenweise ausdrucksstarken Bilder. SchauspielerInnen nutzen jede Gelegenheit, um bedeutungsträchtige Satzfetzen auszutauschen. Bleiern deklamieren sie über Sozialismus, Kapitalismus, Gefühlstiefen. Unbewegte Gesichter und statische Personen mögen auf die Unbeweglichkeit und Ausweglosigkeit des alten Systems und die Angst vor der „neuen“ Wirklichkeit verweisen. Trauer, Verzweiflung, Leidenschaft, Liebe lassen sich mit Worten jedoch kaum bebildern.

Wenn ProtagonistInnen nicht mehr als stilisierte Worthülsen sind, die Herz auf Zunge tragen und es wirklich ernst meinen, stellt sich mitunter eine seltsame Komik ein. Unfreiwillig. „Es darf doch einfach nicht wahr sein“, möchte man ausrufen und angesichts der plumpen Absurdität und Künstlichkeit des Gezeigten in schallendes Dauergelächter ausbrechen. Ein Phänomen, das hierzulande seit Jahren bei Vorführungen von Sanders-Brahms-Filmen zu beobachten ist.

In Cannes soll Apfelbäume übrigens mit gebührendem Ernst aufgenommen worden sein. Gerüchten zufolge habe man den Film sogar zweimal ins westliche Ausland verkauft. Wahrscheinlich zu Dokumentationszwecken. Damit man anderswo weiß, wie man sich deutsche Befindlichkeiten gegenwärtig vorzustellen hat.

Apfelbäume. Regie: Helma Sanders-Brahms, mit Johanna Schall, Thomas Büchel, Udo Kroschwald, BRD 1992, 92 Minuten.