Freies Geleit für Hilfskonvois?

■ Serbischer Nationalistenführer in Bosnien-Herzegowina verspricht, serbische Truppen abzuziehen

Sarajevo (ap/taz) — Es war der schwerste Beschuß seit Wochen. Trotz der Drohung der sieben reichsten Industrieländer, notfalls militärisch einzugreifen, stand Sarajevo in der Nacht zum Mittwoch unter ständigem Beschuß. Alle 15 Sekunden schlugen Mörsergranaten in die ohnehin zum größten Teil zerstörten Gebäude. Neben der Altstadt war vor allem der Stadtteil Dobrinja betroffen. Doch wie der kroatische Rundfunk meldete, wurde auch die Umgebung des Flughafens, über den die internationale Luftbrücke zur Versorgung der Bevölkerung läuft, mit Artillerie beschossen. Aus Vororten der Hauptstadt meldete die bosnische Nachrichtenagentur 'B-H Press‘ Panzerfeuer. Salven aus Maschinengewehren und Schüsse von Heckenschützen hätten mindestens einen Toten und sechs Verwundete gefordert.

Angesichts der erneuten Kämpfe kündigten die schwedischen UNO- Fahrer, die den Transport der Lebensmittel vom Flughafen in die Stadt durchführen, ihren Rückzug an. „Die Fahrer haben den gefährlichsten Job in ihren dünnwandigen Fahrzeugen“, erklärte UNO- Sprecher Fred Eckhard. Einheimische sollen nun die Fahrten übernehmen.

In einer Erklärung des Weltwirtschaftsgipfels, die Bundesaußenminister Klaus Kinkel am Dienstag bekanntmachte, verlangten die Sieben eine härtere Gangart des UNO-Sicherheitsrats, falls die Kriegsparteien die Hilfe weiter sabotieren. Dabei sollte auch ein militärisches Eingreifen unter der Regie der Vereinten Nationen nicht ausgeschlossen werden.

Dem versucht jetzt der serbische Nationalistenführer in Bosnien-Herzegowina, Radovan Karadzic, entgegenzuwirken. Karadzic versicherte gestern, er wolle sich den internationalen Hilfskonvois nach Sarajevo nicht mehr entgegenstellen. Dies äußerte er auch in Briefen an UN-Generalsekretär Butros Ghali, US-Präsident George Bush und den französischen Staatspräsidenten Fran¿ois Mitterrand, die von der Belgrader Tageszeitung 'Borba‘ veröffentlicht wurden. Karadzic erklärte sich bereit, die serbischen Truppen um den Flughafen von Sarajevo umgehend abzuziehen und den Hilfskonvois freies Geleit zu sichern. Im Gegenzug forderte er Garantien dafür, daß die geräumten serbischen Stellungen bis zu einer „befriedigenden Lösung des gegenwärtigen Konflikts“ unter UN-Kontrolle bleiben.

Um seinen guten Willen auch innerhalb von Bosnien-Herzegowina zu demonstrieren, bot Karadzic der kroatischen Minderheit, die am Wochenende einen unabhängigen Staat proklamiert hatte, einen Waffenstillstand an. In der Belgrader Zeitung 'Politika‘ schlug Karadzic vor, den serbischen und kroatischen Teil Bosniens in einer Konföderation zu vereinigen. Die Tochter und Sprecherin Izetbegovics, Sabina Berberovic, erklärte dazu, nach einer Aufteilung des Landes zwischen Serben und Kroaten fiele der 1,9 Millionen zählenden moslemischen Minderheit — 44 Prozent der bosnischen Bevölkerung — nur noch die Aufgabe zu, die Grenzen zu hüten.

Unterdessen haben die vielen tausend Studenten in der serbischen Hauptstadt Belgrad die Blockade der wichtigsten Verkehrswege abgebrochen. Die Studenten folgten einem Aufruf ihrer Führung und gaben die Stadtautobahn, die wichtigsten Brücken und Straßenkreuzungen im Zentrum sowie den Eisenbahnverkehr wieder frei. Bis zum Wochenende wollen die Hochschüler allerdings ihren Streik für den Rücktritt des serbischen Republikspräsidenten Slobodan Milosevic fortsetzen. Zuvor hatten die Studenten vergeblich versucht, einen „Friedensmarsch“ vor dem Haus von Milosevic im Belgrader Prominentenvorort Dedinje zu organisieren.