„Wir machen die Banken fertig“

Radikale Bauern treiben die polnische Regierung in die Enge/ Straßenblockaden und Polizeisperren bei Warschau/ Bewaffnete Bauernbataillone gegen den Gerichtsvollzieher  ■ Aus Oltarzew Klaus Bachmann

„Wenn Sie keine Angst haben, können Sie weitergehen“, meint ein beleibter Polizist im Kampfanzug, der — behängt mit Funkgerät und Gummiknüppel — 20 Kilometer hinter Warschau an der Schnellstraße Nr.2 nach Berlin postiert ist. „Aber denken Sie daran: Achtzig Prozent der Bauern haben einen sitzen.“ Nach zweihundert Metern versperren vier Polizeitransporter einer Kolonne von ungefähr einem Dutzend klappriger Traktoren, Viehtransporter und Fuhrwerken den Weg. Bis hier sind die Mitglieder der Bauerngewerkschaft „Selbstverteidigung“ bei ihrem „Sternmarsch“ nach Warschau gekommen.

Allerlei martialische Forderungen ihres Vorsitzenden Andrzej Lepper — von der Entlassung des Landwirtschaftsministers und der Direktoren aller Genossenschaftsbanken bis zur Auflösung des Parlaments — haben die Behörden so nervös gemacht, daß die 180 Bauern jetzt dreimal sovielen Sondereinsatztruppen der Polizei mit Wasserwerfern, gepanzerten Mannschaftswagen und Räumgeräten gegenüberstehen.

Dem Alkohol zugesprochen hat kaum jemand, die meisten sind nach drei Tagen Warten in den engen Kabinen ihrer Traktoren eher ernüchtert. Sie sehen sich als Opfer des Internationalen Währungsfonds, des ehemaligen Finanzministers Balcerowiczs, der Banken und des Präsidenten Walesa, „den wir erst zu dem gemacht haben, was er heute ist, und der uns heute verraten hat“, schimpft ein Bauer.

Doch Polens Bauern haben andere Gründe für ihre Straßenblockaden, als etwa die französischen. „Im November 1990 habe ich einen 250-Millionen-Zloty-Kredit bei meiner Genossenschaftsbank aufgenommen, für drei Jahre verzinst auf 36Prozent jährlich“, erzählt einer der Bauern. „Im März 1991 hatte ich 58 Millionen abbezahlt. Da stiegen die Zinsen auf 106Prozent jährlich. Heute bin ich der Bank mit allem Drum und Dran 700 Millionen schuldig, fast dreimal soviel wie ich aufgenommen habe.“

Viele Bauern mußten Kredite aufnehmen, um die Produktion des kommenden Jahres vorzufinanzieren. Festverzinsliche Kredite vergaben die Banken nicht, da sie wußten, wie sehr die Inflation schwanken würde. Die Agrarpreise blieben hinter der Inflation zurück, und die Bauern fielen in die Zinsfalle. Für jenes knappe Prozent der Bauern, die ihre Kredite nicht zurückzahlen können, erstritten verschiedene Bauernorganisationen einen Restrukturisierungsfonds, der die Schulden den Banken abkauft und umschuldet.

Das ist der „Bauernselbstverteidigung“ allerdings nicht genug: „Wir wollen, daß alle verschuldeten Landwirte — auch diejenigen, die ihre Schulden zahlen — entlastet werden. Das gilt auch für die Verarbeitungsbranche, die ebenfalls verschuldet ist“, erklärt Adam Ploski, der aus Bialoleka angereist ist, um zu protestieren. „Viele Landwirte zahlen ihre Kredite mit zusammengebissenen Zähnen ab, aber müssen dazu Teile ihres Vermögens veräußern.“ Ihre Forderungen stoßen daher auch bei Bauern, die nicht zur radikalen „Selbstverteidigung“ gehören, auf Sympathien. Ploski zählt auf: „Festverzinsliche Kredite mit niedrigen Zinssätzen, Entschädigung für Kreditgeschädigte, Entschuldung der gesamten Landwirtschaft.“ Kostenpunkt für den Staat: sechs Billionen Zloty (ca. 750 Millionen DM) statt der halben Billion für den Umschuldungsfonds.

Die Erfüllung dieser Forderungen käme einer Rückkehr zum kommunistischen Wirtschaftssystem gleich, in dem die Bauern ihre gesamte Produktion verkaufen konnten, die Kredite billig und die Banken nichts weiter als Subventionsverteiler waren. Ein Kollege von Ploski ist sich dessen auch bewußt: „Entweder die Banken machen uns fertig oder wir die Banken, entweder die Inflation trifft uns oder die.“

Gegen Gerichtsvollzieher will Lepper bewaffnete „Bauernbataillone“ aufstellen. Sein Stellvertreter Janusz Brzyczkowski, früher Vorsitzender einer der vielen ökologischen Parteien in Polen, demonstrierte zu diesem Zweck schon seine zweiläufige Schrotflinte auf dem Gründungskongreß der „Selbstverteidigung“. Und daß zur Zeit in Warschau ein Landwirtschaftsminister amtiert, der selbst einer Bauernpartei entstammt — von Premier Pawlak ganz zu schweigen —, kümmert sie nicht. „Wir werden mit niemandem kungeln, wir werden unsere Forderungen stellen und dafür kämpfen“, verkündet Ploski.

Am Abend räumen die Bauern die Schnellstraße und fahren auf den Randstreifen. Die Polizei zieht sich dezent zurück. Pawlaks Versprechung, mit der „Selbstverteidigung“ zu verhandeln, macht auf die Protestierenden wenig Eindruck: „Die Regierung hat uns schon so oft verraten“, meint einer von ihnen.