Wenig Chancen für arme Länder

■ Für die reichen Industriestaaten spielen die Probleme der Dritten Welt nur eine Nebenrolle/ Die ärmsten Länder sollen mehr Entwicklungshilfe bekommen/ Eine Entschuldung steht nicht zur Debatte

München/Berlin (taz/dpa/epd) — Neue Partnerschaften jenseits der alten Konfrontationslinien hatten die sieben Staats- und Regierungschefs der reichsten Industrienationen als Leitmotto ihres Weltwirtschaftstreffens proklamiert. Doch während sich der Gipfelreigen ohne Unterlaß um die bereits im Frühjahr zugesicherten Rußland-Hilfen und das Reparaturprogramm für die schrottreifen GUS-Atomreaktoren drehte, mußten sich die Entwicklungsländer einmal mehr mit einer Statistenrolle abfinden. Und hatten sich die G-7-Führer bei vorangegangenen Meetings stets mit den Schuldengebirgen der Dritte-Welt-Staaten herumgeschlagen, fiel diesmal auch dieses Thema weitgehend unter den Tisch.

Zwar wollten die Regierungen Frankreichs und Deutschlands — wenn auch nicht mit sonderlichem Druck — das keineswegs gelöste Schuldenproblem wieder auf die Tagesordnung setzen, doch offenbar konnte der Westen keinen Bedarf mehr erkennen. Auch weltweite Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung standen nicht zur Debatte: Nach der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio, so der Bonner Regierungssprecher Dieter Vogel, könne ohnehin nichts neues zu den globalen Umweltproblemen gesagt werden.

Am Ende des G-7-Gipfels fiel dann doch noch ein rhetorisches Bekenntnis ab, den ärmsten Ländern dieser Erde mit mehr Entwicklungshilfe unter die Arme greifen zu wollen. „Wir werden uns weiterhin nach besten Kräften bemühen, die Quantität und Qualität der staatlichen Entwicklungshilfe in Übereinstimmung mit den von uns übernommenen Verpflichtungen zu erhöhen“, heißt es in dem Abschlußkommuniqué. Dabei legen die reichen Industrienationen Wert darauf, daß künftig insbesondere diejenigen Länder von der Entwicklungshilfe profitieren sollen, „die glaubwürdige Anstrengungen zur Selbsthilfe unternehmen“. Auch die „wohlhabenden Entwicklungsländer“ (sic!) seien aufgerufen, zur internationalen Hilfe beizutragen.

Doch damit eröffnen sich für den Süden noch lange keine besseren Perspektiven. Um den Entwicklungsländern mehr Chancen einzuräumen, setzten die reichen Industriestaaten ganz auf ihre alte Strategie: Handel, ausländische Direktinvestitionen und ein aktiver Privatsektor sollen die Grundlage für einen ökonomischen Aufschwung bilden; armen Entwicklungsländern soll technische Hilfe angeboten werden, damit sie eine stärker diversifizierte Exportstruktur insbesondere bei Industrieerzeugnissen schaffen können. Mit seiner Blockade der Gatt- Runde für die Liberalisierung des Welthandels und der Globalisierung des Patentrechts verhindert jedoch der Westen diese Entwicklung.

Während Polen und Ägypten im vergangenen Jahr wesentliche Schulden erlassen wurden und jetzt auch Rußland ein Schuldenmoratorium in Aussicht gestellt wird, müssen die meisten Entwicklungsländer weiter warten. Vorschläge Frankreichs und Großbritanniens für weitergehende Schuldenerleichterungen scheiterten in München am Einspruch der USA, Japans und Italiens. Nach dem Kompromiß sollen die im vergangenen Jahr beschlossenen Konditionen für die ärmsten Länder, die sogenannten „Trinidad Terms“, beibehalten werden. Diese sehen einen Erlaß von bis zu 50Prozent der öffentlichen, bilateralen Schulden vor. Von den 72 Ländern, die grundsätzlich für diese Maßnahmen in Betracht kommen, haben bisher aber lediglich vier Länder — Benin, Bolivien, Nicaragua und Tansania — davon profitiert. Außerdem setzten sich die USA mit dem Vorschlag durch, daß ihre Praxis der Schuldenerleichterung, die nur eine langfristige Umschuldung, aber keinen Schuldenerlaß vorsieht, als „permanente Lösung“ anerkannt wird.

Nur für einige der ärmsten Staaten der Gruppe der hochverschuldeten Länder mittleren Einkommens, so die Beschlüsse von München, soll der Schuldendienst verringert werden. Zur Diskussion stehen die Elfenbeinküste, Kamerun, Kongo und Nigeria. Die Bundesrepublik lehnt es allerdings ab, rohstoffreichen Ländern wie dem Ölstaat Nigeria einen, wenn auch nur begrenzten, Schuldenerlaß zu gewähren. Deshalb heißt die in München vereinbarte Formel, es müsse Einstimmigkeit aller Gläubiger bei Fall-zu-Fall-Entscheidungen über einzelne Länder erzielt werden. Objektive Kriterien der Schuldenlast, wie das Verhältnis des Schuldendienstes zu den Exporterlösen, sollen den Entscheidungen nicht zugrundegelegt werden.

Die entwicklungspolitische Nord-Süd-Initiative Germanwatch setzte der Gipfel-Erklärung einen Forderungskatalog zur Schuldenkrise entgegen. Sie fordert, den ärmsten Ländern die Schulden gänzlich zu erlassen. Schuldendienstzahlungen der Länder mittleren Einkommens, die aufgrund bilateraler öffentlicher Kredite entstanden sind, sollten um mindestens die Hälfte reduziert werden. Darüber hinaus müßten die Regierungen die Gläubigerbanken dazu drängen, in Übereinstimmung mit öffentlichen Entschuldungsmaßnahmen eigene Entschuldungspakete anzubieten. Zudem will Germanwatch, daß das neunte Kapitel des US-Insolvenzrechts internationale Gültigkeit erhält. Nach diesem Prinzip könnten Gläubiger Rückzahlungen nur dann verlangen, wenn dies wirtschaftlich und sozial vertretbar ist. Erwin Single