Mit dem Bus kommt die Angst ins Lager

In einer ehemaligen belgischen Kaserne wird seit dem 1. Juli die neue Asylpolitik praktiziert/ Nordrhein-Westfalens Minister Heinemann findet das „besser als in Zelten“/ Angst der Flüchtlinge vor einem Transfer nach Ostdeutschland  ■ Aus Xanten Walter Jakobs

„Sie sollten nicht unbedingt den Begriff des Lagers prägen. Wir betreiben nicht ein Lager, sondern eine Gemeinschaftsunterkunft.“ Elmar Ibels, der Mann, der die Lagerschlagzeilen fürchtet, ist Geschäftsführer der „Betreuungseinrichtung Xanten“. „Unser Ziel ist es“, so fährt Elmar Ibels in seiner Begrüßung fort, „die Asylbewerber bedürfnisgerecht und menschenwürdig“ unterzubringen. Seit dem Februar 1991 werden in der „Betreuungseinrichtung“ vom Malteser Ritterorden im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen bis zu 500 Flüchtlinge betreut.

Bevor Ibels und die Flüchtlinge kamen, dienten die um einen großen Platz gruppierten ein- bis dreistöckigen Gebäude den Soldaten der belgischen Armee als Unterkunft. Einige militärische Türbeschriftungen und der Schlagbaum im Eingangsbereich weisen noch heute auf die einstigen Nutzer hin. Jetzt spielen hier Kinder aus Sarajevo und dem Kosovo, während einige Erwachsene mit Schubkarren und Schaufeln hantieren. Die Einbeziehung der Flüchtlinge in den alltäglichen Arbeitsablauf gehört zum Konzept der Malteser, „denn wir wollen die Aktivitäten in der Einrichtung gemeisam mit den Asylbewerbern organisieren und damit Konflikten schon im Vorfeld begegnen“, sagt Geschäftsführer Ibels.

Solche Kunde vernahm Hermann Heinemann, Arbeits- und Sozialminister in Düsseldorf, der die ehemalige Kaserne am Dienstag besuchte, mit besonderem Wohlwollen. Heinemann ist seit langem der Auffassung, daß „Asylbewerber in Kasernen besser untergebracht sind, als in Zelten, die wir ja schon in einigen Städten aufstellen mußten.“ Wer solche Zeltstädte, aber auch manch andere vergammelte kommunale Gemeinschaftsunterkünfte je besucht hat, dem erscheint die Xantener Ex- Kaserne mit ihrer „Stillen Stube“ für Lesehungrige, mit „Kinderstube“, „Jugend- und Frauentreff“ in der Tat als so eine Art kleineres Übel.

Indes hat die Requirierung der Kasernen mit dem besseren Schutz vor Regen, Matsch und Kälte für Flüchtlinge nichts zu tun. Der Run auf die Kasernen gehört zum Paket des seit dem 1. Juli dieses Jahres gültigen neuen Asylverfahrensgesetzes. Danach sollen Asylbewerber zunächst „in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden“. Das proklamierte Ziel des von CDU, SPD und FDP gemeinsam verabschiedeten Gesetzes ist es, die Asylverfahrensdauer zu reduzieren, und „offensichtlich unbegründete“ Asylanträge — gemeint sind vor allem die Armutsflüchtlinge — innerhalb von sechs bis zwölf Wochen endgültig abzulehen und die Antragsteller sofort abzuschieben. Umgesetzt werden kann das Gesetz zur Zeit nicht. Es fehlen die vorgesehenen Außenstellen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, das nunmehr allein für die Anhörung verantwortlich ist, ebenso, wie die Sammelunterkünfte und die zusätzlichen „Entscheider“. Bis zum 31. März 1993 sollen die im Gesetz geforderten Maßnahmen sukzessiv geschaffen werden und die jetzt noch gültigen Übergangsregelungen ablösen.

Seit dem 1. Juli sind in NRW „Gemeinschaftsunterkünfte“ in Xanten, Bergkamen, Schöppingen und Raesfeld mit einer Gesamtkapazität von 1.650 Plätzen in Betrieb gegangen, von denen, so Heinemann, 1.050 belegt wurden. Als Träger und Betreiber der Sammellager fungiert neben dem Malteser Hilfswerk vor allem das Deutsche Rote Kreuz. Die katholische Caritas und das evangelische Diakonische Werk meiden die Trägerschaft, weil die Lagerunterbringung, so das Diakonische Werk, mit der „inhaltlichen Ausrichtung diakonischer Arbeit kaum vereinbar“ sei. Eine sachgerechte Sozialarbeit hält das Diakonische Werk in den Sammellagern für „nicht leistbar“. Die Sozialarbeit verkümmere hier zu einer „Alibifunktion“.

Dieser Beurteilung mag sich Angelika Haentjes-Börgers, die in der Xantener Ex-Kaserne arbeitet, nicht anschließen. Die Sozialarbeiterin, die sich vor ihrer Tätigkeit in Xanten ehrenamtlich in der Flüchtlingsbetreuung in Köln engagiert hatte, findet, daß „die Unterkunft hier durchaus Möglichkeiten bietet, das Leben sozialverträglich zu gestalten. Das kann ich mit meinem Gewissen gewiß vereinbaren. Sonst würde ich hier nicht arbeiten.“ Das „Hauptproblem“ in Xanten sei der Transfer in den Osten: „Da will keiner hin.“

Von diesem „Hauptproblem“ bekam Heinemann am Dienstag ganz hautnah einen Eindruck. „Herr Minister, wir wollen nur eine menschliche Unterkunft. Wir gehen hier nicht weg. Wir besteigen nicht den Bus. Lieber gehen wir auf die Straße.“ Mit diesen Worten bat Cazin Alic, der vor drei Monaten aus Sarajevo nach Deutschland geflüchtet war, Heinemann um Hilfe. Alic und seine aus knapp 30 Flüchtlingen bestehende Gruppe sind für den „Transfer“ nach Chemnitz vorgesehen, weil die Flüchtlingszahl in NRW die Aufnahmequote um über 7.000 überschritten hat. Doch die Bürgerkriegsflüchtlinge wollen nicht nach Sachsen, weil sie sich „vor den Überfällen der Skins in Chemnitz“ fürchten. Die Bitte bleibt ohne Wirkung. „Da kann ich ihnen keine Hoffnung machen“, weist Heinemann das Ansinnen zurück, „denn wir liegen weit über der Quote. Man muß Deutschland als Ganzes sehen“. Am Donnerstag wird vermutlich die Polizei Amtshilfe beim „Transfer“ leisten.