Von Kloaken und Kletterrosen

■ Anrüchiger Bericht aus dem Verdauungssystem der Stadt: Das Hauptpumpwerk II in Oslebshausen, kurz vor dem Aus

hierhin bitte das

Foto von dem Hahn

mit Eimerchen drunter

Im Pumpwerk: Das achtsame EimerchenFotos: Jörg Oberheide

„Vorsicht, das spritzt!“ Die Warnung des Maschinisten kommt gerade noch rechtzeitig: Kladderadatsch platscht die unsägliche Masse in bereitstehende Container. Und stinkt. Und stinkt! Fäulnis und Verwesung und Pest und Schwefel zusammen. Was hier automatisch mit „Rechen“ aus den Sieben gekratzt wird, ist das „Dicke“ im Abwasser Bremens: Wir befinden uns im Hauptpumpwerk II Ritterhuder Heerstraße in Oslebshausen. Hier muß, so es mit rechten Dingen zugeht, jede Bremer Badewannenfüllung, alles Spülwasser, sämtliche „großen und kleinen Geschäfte“ und, zu anderen Zeiten, alles Regenwasser durch. Das Hauptpumpwerk II ist einer der drei tiefsten Punkte Bremens, wo das Abwasser gesammelt und, wegen des geringen Gefälles im Land, hochgepumpt werden muß. Ab nach Seebergen auf der anderen Seite der Weser, in die Kläranlage.

Das Pumpwerk wurde 1915 in das bestehende Kanalsystem aus dem letzten Jahrhundert integriert und sieht heute noch so aus wie vor 80 Jahren. Roter Backstein, eine hohe Pumpenhalle, schwarzglänzende Ungetüme von Pumpen und Elektromotoren: fast ein Museum. Ende des Jahres

stellt sich die Frage, ob das Hauptpumpwerk II ganz zum Museum wird: Dann wird es stillgelegt. Schluß, Aus, Ende, hundert Meter weiter lauert schon der schicke, neue, vollautomatische und charakterlose Neubau.

Wer hier arbeitet, hat mit einem miserablen Image zu kämpfen. Manfred Brauns, Maschinist: „Die Eltern sagten immer, wenn man 'ne Fünf geschrieben hat: 'Kannst noch immer Kanalarbeiter werden.'“

Ja, sie müssen manchmal reinlangen in den Schiet, wenn's anders nicht geht. Sie müssen Haare, Federn, Präservative und Damenbinden aus den Maschinen ziehen, wenn das Motorengeräusch ihnen „Verstopfung“ mitteilt. Doch in Wahrheit sind die Männer in der Pumpenhalle Forscher.

Denn sie wissen und erfahren mehr über die Menschen, ihre Gewohnheiten und ihre Kultur als andere. Günther Sonntag, seit kurzem in Rente (kommt aber noch häufig vorbeischauen) studierte das Sexualverhalten der BremerInnen: Unmengen Kondome in den 60ern, mit der Konjunktur der Pille extremer Rückgang, seit der AIDS-Angst hängen sie wieder in Massen in den Sieben.

Und Q-Tips! Tonnenweise verstopfen sie die Anlage! Was müssen die BremerInnen verstopfte Ohren haben. Als der neue Schlachthof eingeweiht wurde, merkten die Männer am Rechen das gleich an der Zunahme tierischer Körperteile. „Motte“ nennt Klaus Hammerschmidt den faserigen, übelriechenden Dreck, den er gerade aus der große „Regenwasserpumpe“ zerrt: Textilien, Pampers, leere Zahnpastatuben.

„Flüssige Müllabfuhr“ sagt Herr Brauns, „alles, was man abends in der Werbung sieht, bleibt später bei uns hängen.“

Die große Pumpe für Regentage läuft heutzutage auch bei Sonnenwetter: Seit 1915 hat das Abwasser gewaltig zugenommen, heute leitet der durchschnittliche Einwohner 140 Liter am Tag ein. Die Pumpen, made by AMAG & Hilpert, sind Herz und Seele der Anlage, der Identifikationsgrad der Maschinisten mit „ihrer“ Maschine ist groß. Jeden Freitag werden die Armaturen, Manometer und Schmierbuchsen aus Messing mit Hingabe gewienert.

Das Geschäft ist anrüchig, aber man hat sich eingerichtet. Je mehr Noppenpräser, ja auch Schubkarren, Kotflügel und — unfreiwillig — Personalausweise und Eheringe auf diesem Weg entsorgt werden, desto blitzsauberer ist die Pumpenhalle, desto hübscher blüht die Kletterrose ums Gartentor, desto liebevoller werden die Birn- und Apfelbäume gepflegt. Seit 1915 haben hier „Kanalarbeiter“ die heranschwappende Großstadtkloake kompensiert mit ihrer kleinen heilen sauberen Welt. Was Ende des Jahres hier verschwindet, ist nicht nur eine Pumpe: Eine 80-jährige Strategie, mit den ekligsten Ausscheidungen der Stadt umzugehen, stirbt. In Zukunft wird die Drecksarbeit von „automatisch“ erledigt. Burkhard Straßmann