»Wo bitte geht's im Kaufhaus zur Ökotonne?«

■ Drei Monate nach dem Inkrafttreten der Verpackungsverordnung fehlt vom Ökobewußtsein fast jede Spur/ 120 Verfahren gegen Geschäftsinhaber

Berlin. Was das Baden in einem See so richtig zum Vergnügen macht, stimmt beim Blick in die neuen Recyclingtonnen eher traurig: Mühelos tastet sich das Auge am unbefleckten Blau der Tonnenwände bis auf den Grund hinab, der nur unwesentlich von einzelnen Pappschächtelchen bedeckt ist.

Gut drei Monate nach Inkrafttreten der Verpackungsverordnung am 1. April dieses Jahres, die den Einzelhandel zur Zurücknahme von Umverpackungen verpflichtet, fehlt von einem gesteigerten Ökobewußtsein der Konsumenten jede Spur. Ob beim Kaufhof, Bolle, Hertie oder im Drospamarkt, ob schwarze Mülltonne oder im Stil des Hauses gehaltene Sperrholzkonstruktion, überall gähnen einem die mit »Pappe und Papier« oder »Kunststoff« betitelten Einwurflöcher halbleer entgegen.

»Ich krieg' das Zeug hier sonst nicht weg«, sagt der Kunde M. bei Aldi und hat dabei völlig recht. Den Pappkarton unter den Saftpaketen braucht er zum Umladen in Kofferraum und Vorratskammer. Frau S. hat das Minibüroset als Geschenk gekauft und will deswegen das Schächtelchen nicht hergeben. Ist es also die wirtschaftswunderverwöhnte Kundschaft, die ihre Hochglanzäpfel lieber auf Pappe geschweißt in die Plastiktüten stopft? Immerhin hat der Groschen Gebühr pro Stück den Trend zur Einwegtüte nicht wirklich aufzuhalten vermocht — und für im Geschäft aus dem Plastik gepellte Radiergummis gibt es keinen Preisnachlaß.

Der Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Lutz Wicke, ortet den Sündenbock dagegen im Einzelhandel. Kürzlich hieß er die Presse für einen »Feldzug gegen den Verpackungsmüll« die Trommeln zu rühren. Die umweltorientierte Bevölkerungsmehrheit solle zur Wahrnehmung ihres »Rückgaberechts«, notfalls in Form einer Anzeige gegen säumige Geschäftsinhaber animiert werden. Bei Kontrollgängen der Umweltbehörde hatten 55 von 100 Läden den Anforderungen der Verordnung nicht entsprochen. Bislang sind 120 Verfahren anhängig.

Ökotonnen im Warenparadies gut versteckt

Tatsächlich kommen die Geschäfte den Recyclingwilligen unter ihrer Kundschaft nicht gerade entgegen. Vorhanden sind sie zwar, die Gefäße, mit deren Hilfe man den Berliner Hausmüll von derzeit 337 Kilogramm pro Kopf und Jahr auf 150 Kilogramm zu senken hofft. Jedoch verlangt es oftmals detektivischen Instinkt, um die Ökotonne im Warenparadies der großen Kaufhäuser erst mal aufzuspüren. »Deutlich erkennbare und lesbare Schrifttafeln an der Kasse« schreibt Paragraph fünf der Verpackungsverordnung dem Einzelhandel vor. Was zur Aufklärung abgestumpfter Konsumentenhirne gedacht ist, drückt sich oftmals unübersichtlich an der dem Kunden abgewandten Tresenseite (z.B. im Kaufhof am Alexanderplatz). Oder die Hinweistafeln glänzen — vor allem in Supermärkten — gleich ganz durch Abwesenheit.

Vorbildlich ist die Beschilderung dagegen bei Hertie. Gleich neben dem Aufzug in der Süßwarenabteilung befänden sich besagte »Sammelgefäße«, kündet eine in ökobewußtem Grün gehaltene Tafel über der Kasse. Minutenlang irrt man dann zwischen Mozartkugeln und Pralinenschachteln umher, bis der Ort der Enthüllung gefunden ist. Ein mittleres ökologisches Zeremoniell zur Beseitigung von zehn Gramm Zahnpastaverpackung könnte selbst einigen der engagiertesten Umweltschützer zuviel sein.

Bioläden haben es schwer

Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes des Berliner Einzelhandels, will eine schützende Hand über seine Mannen legen. »Dieser Aufruf zur Denunziation vom Umweltsenat hat uns total sauer gemacht.« Gerade kleinere Läden wären bei den horrenden Gewerbemieten auf jeden Zentimeter Stellfläche angewiesen. Wolle man die Tonnen z.B. vor dem Laden installieren, schieße das Tiefbauamt quer.

Betroffen sind dabei beispielsweise die Bioläden. Bei kleinen Verdienstspannen mühen sie sich, auf engstem Raum jeden Zentimeter zu nutzen. »Die sollen erst mal kommen«, schnaubt Horst Upolka voller Zorn, als er auf das fehlende Hinweisschild für Umverpackungen aufmerksam gemacht wird. Wie in den meisten anderen Bioläden auch wird bei »Naturwaren« in der Crellestraße schon seit Jahren ein eigenes Pfandsystem bei Schraubgläsern für Kosmetika und Brotaufstriche gepflegt — Spül- und Waschmittel kann man im Laden auffüllen lassen. Weil für die Tonne der Platz nicht reicht, zählen sie laut Verpackungsverordnung zu den ersten Kandidaten für eine Anzeige.

»Wiederverwertung ist im Sinne einer umweltfreundlichen Müllpolitik erst der zweite Schritt.« Auch Jutta Demba, Müllbeauftragte der AL, meldet grundsätzliche Bedenken gegen das neuerliche Sammelfieber an. »Wirkliche Verbesserung heißt Vermeidung unnötiger Verpackung oder aber Mehrwegsysteme.« Recycling verbraucht für alle Schritte vom Transport bis zu den Neuprodukten Energie und verursacht Emissionen. Der Zorn der Umweltverbände auf das »Duale System«, mit dem sich die Wirtschaft ein Schlupfloch aus Töpfers Verpackungsverordnung gesichert hat, kommt nicht von ungefähr.

Das unabhängige Müllsystem entzieht sich der öffentlichen Kontrolle, ob Quoten für das Recycling letztendlich eingehalten werden, ist kaum nachweisbar. Schlimmstenfalls landen die unliebsamen Kartons auf Deponien im Ausland. Die Rücknahmepflicht und das Zwangspfand aus der Verordnung sind mit dem Dualen System bis 1995 ausgesetzt, danach wird alles nach EG-Richtlinien neu geregelt.

Und dennoch gibt es Ansätze für einen Trend, der ganz im Sinne der Umweltverbände ist. Derzeit stehen in vielen Kaufhäusern Plastik und Module auf der Abschußliste.

Füller bald nackt?

Diese Errungenschaft der Verpackungsindustrie, die Knöpfe oder Kugelschreiber per Plastiküberzug auf buntbedruckten Karton aufschweißt, schützt zwar vor Diebstahl und ist platz- und arbeitssparend, dafür aber als Verbundmaterial zweier Stoffe nicht recycelfähig. Die Schreibwarenabteilung zählt traditionell zur Plastikhochburg eines jeden Warenhauses. Bei Kaufhof am Alex schmücken sie nur noch vereinzelt die Rückseite von Radiergummis und Anspitzer. »Die Füller sollen bei der nächsten Lieferung auch ohne kommen«, berichtet die Verkäuferin und nennt im selben Atemzug drei weitere Artikel, die demnächst nackt, wie das Werk sie schuf, in ihre Abteilung Einzug halten werden. Der Hertiekonzern hatte bereits 1990 in Kooperation mit dem BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz) einen sogenannten »Shop-Check« unter dem Gesichtspunkt Verpackung durchgeführt und 200.000 Broschüren zum umweltgerechten Einkauf unter die Kundschaft verteilt. »Auf Plastik bei Schreibwaren wollen wir bis Ende dieses Jahres ganz verzichten«, sagt Pressesprecher Elmar Kratz.

Doch bislang sind solche Lichtblicke die Ausnahme.

WC-Steine doppelt verpackt

Beim Drospamarkt feiert das Modul weiter Hochkonjunktur. WC-Steine und Nagelschere, selbst die Flasche »Klosterfrau Melissengeist« steckt samt Schachtel zusätzlich in der Hülle aus Verbundmaterial. Die Kassiererin scheint eine Agentin der Verpackungsindustrie zu sein. »Bringen Sie das mal unseren ausländischen Mitbürgern bei, wenn da nicht mehr die Übersetzung auf der Packung draufsteht!« Ein Blick an die Wand straft sie Lügen: Küchenmesser steht da in reinstem Hochdeutsch auf Pappe. Da fragt man sich, aus welchem Land dieser Mitbürger wohl kommen mag, der nicht weiß, wie ein Küchenmesser aussieht. Jantje Hannover