Gesunde Nachwuchskräfte gesucht

■ Kinder, Jugendliche und Frauen sind die wichtigste Zielgruppe der Tabakindustrie

„Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß Zigarettenreklame irgend jemanden, Kinder eingeschlossen, dazu ermuntern könnte, das Rauchen anzufangen oder mehr zu rauchen.“ Dieses Fazit zog die britische Tabakindustrie in einem Leserbrief an die 'Times‘. Naheliegende Frage: Warum wehrt sie sich dann so vehement gegen ein generelles Verbot für Zigarettenreklame? Warum wird überhaupt noch geworben, wenn es so nutzlos ist? Acht von zwölf Gesundheitsministern der EG haben sich im November des Vorjahres für ein generelles Verbot von Zigarettenreklame ausgesprochen, vier (die Minister der Bundesrepublik, Großbritanniens, Dänemarks und der Niederlande) waren dagegen. Auch das Europaparlament hat ein Totalverbot verlangt, doch eine Einigung auf dieser harten Linie ist nicht in Sicht. Die „Pressure-Groups“ der Tabakindustrie gewinnen, wie die Ärztezeitung 'British Medical Journal‘ schreibt, zunehmend an Einfluß.

Das Verbot für Zigarettenreklame gehört zu den wichtigsten Forderungen der internationalen Anti- Raucher-Kampagne, und so häufen sich die Aufsätze und Studien zu diesem Thema. Ein amerikanisches Wissenschaftlerteam hat in einer Fleißarbeit die Bände von 99 US- Zeitschriften aus den letzten 25 Jahren gesichtet. Man wollte herausfinden, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Umfang der Zigarettenreklame und kritischen Artikeln zum Thema Rauchen gibt. Das Ergebnis der Arbeit war eindeutig. Die Forscher fanden eine direkte Korrelation: Je häufiger die Zigarettenanzeigen in den Magazinen auftauchten, desto seltener fanden sich kritische Artikel zum Rauchen. Und andersherum: Zeitschriften, die keine Zigarettenreklame enthielten, hatten einen um mehr als 40 Prozent höheren Anteil von kritischen Artikeln. In den 80er Jahren stieg dieser Anteil sogar auf beinahe das Doppelte.

Auffällig hoch war das Anzeigenaufkommen in den Frauenmagazinen. Frauen und Jugendliche sind die wichtigste Klientel für die Tabakindustrie. Während in der männlichen Bevölkerung die Raucher-Prävalenz leicht zurückgeht, steigt sie bei Teenies, Jugendlichen und vor allem bei jungen Frauen, die die größten Zuwachsraten verzeichnen, rapide an. Unter den 15- bis 24jährigen rauchen in den EG-Ländern mit 34 Prozent inzwischen fast ebenso viele Frauen wie Männer (39 Prozent). „In vielen Ländern“, schreiben die schottischen Ärztinnen Amanda Amos und Yvonne Bostock in einer Studie, „hat die Tabakindustrie die Frauen als direkte Zielgruppe im Visier.“ Amos und Bostock haben das Anzeigenaufkommen in 95 europäischen Frauenmagazinen untersucht. Ihr Fazit: Die meisten Frauenmagazine „unterstützen das Rauchen aktiv“, nicht nur durch die Plazierung von Anzeigen, sondern auch durch Fotos von rauchenden positiv dargestellten Frauen auf Modeseiten und in anderen redaktionellen Teilen.

Kinder und Jugendliche sind die zweite wichtige Zielgruppe. Schließlich, so der sarkastische Kommentar in der Ärztezeitung 'Lancet‘, müßten ja die 300 Briten, die täglich an ihrer Tabaksucht sterben, durch frische und gesunde Nachwuchskräfte ersetzt werden. In demselben Kommentar zitiert das Blatt vertrauliche Strategiepapiere der Tabakindustrie. Darin heißt es, daß Jugendliche „die wichtigste Gruppe für die Zigarettenindustrie repräsentieren“. Und weiter: „Auf dem Markt dominieren diejenigen Marken, die sich am besten auf die Bedürfnisse der jüngeren Raucher eingestellt haben.“ Die Zielgruppe der „jüngeren Raucher“ reicht bis zu den 12Jährigen. Andere interne Papiere zeigen, daß eine neue Marke vor ihrem Start auf dem Markt zuerst mehr als 30 Testreihen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen von 15 bis 25 Jahren bestehen mußte. -man-