Generelle Antworten gibt es nicht

■ Zur Frage einer militärischen Intervention in Bosnien-Herzegowina

Generelle Antworten gibt es nicht Zur Frage einer militärischen Intervention in Bosnien-Herzegowina

Je dramatischer die Lage der Eingeschlossenen von Sarajevo wird, desto dringlicher stellt sich die Frage einer militärischen Intervention. Wer jede bewaffnete Einmischung schlechthin ablehnt, muß sich die Frage gefallen lassen, wie verhindert werden kann, daß in der bosnischen Hauptstadt Menschen schlicht verhungern. Wer glaubt, mit einer militärischen Intervention dem Krieg ein Ende setzen zu können, nimmt billigend den Tod von noch mehr Menschen in Kauf. Nichts ist also überflüssiger als eine Neuauflage einer Debatte zwischen „Bellizisten“ und „Pazifisten“. Gefragt ist nicht eine prinzipielle Position, sondern sorgfältiges Abwägen, wie am meisten Menschenleben gerettet werden können. Das ist um so schwieriger, als politische und militärische Kräfte, die nach einer Intervention rufen, durchaus auch eigene Interessen verfolgen: Die Nato sucht offensichtlich nach einer neuen Legitimation, und immer mehr deutsche Politiker wollen, daß Deutschland endlich seine „weltpolitische Verantwortung“ wahrnimmt — ganz als ob diese nur in der Anzahl abkommandierter Soldaten und toter Helden zu messen wäre und nicht etwa auch in der Anzahl aufgenommener Kriegsflüchtlinge.

Schon die militärische Sicherung des Flughafens von Sarajevo verwickelte die Blauhelme in bewaffnete Auseinandersetzungen mit Milizen. Die Sicherung eines Korridors, um Hilfsgüter in die vom Flughafen sieben Kilometer entfernte Stadt zu bringen, birgt weitere Risiken in sich, die aber in Relation zur verzweifelten Situation, in der sich 300.000 Menschen ohne Strom, Trinkwasser und Nahrung befinden, gesetzt werden müssen. Wenn aber Sarajevo geholfen wird, weshalb nicht auch Tuzla, Foca, Zvornik, Gorazde, Bihac, wo die Situation nicht weniger dramatisch ist? Haben die Menschen dort weniger Anrecht auf Hilfe? Gewiß nicht. Aber Sarajevo darf nicht erst geholfen werden, wenn auch Tuzla, Foca, Zvornik, Gorazde, Bihac geholfen werden kann. Man wird abwägen müssen, welche Chancen und Risiken die militärische Erzwingung von Landkorridoren zu jenen Städten mit sich bringt. Jede militärische Intervention wird sorgfältig daraufhin überprüft werden müssen, wie weit sie die ohnehin schon immense Gefahr einer Verschärfung der kriegerischen Auseinandersetzung und ihrer Ausweitung auf bisher noch nicht betroffene Regionen erhöht. Eine prinzipielle Haltung führt nicht mehr weiter. Generelle Antworten gibt es nicht. Mißtrauen gegenüber Militärs und Politikern ist angebracht. Gefragt ist Detailwissen, gesucht sind Experten, die keiner unlauterer Absichten verdächtigt werden können. In militärischen Kreisen sind sie wohl dünn gesät, und Friedensforscher beschäftigen sich in der Regel mit gewaltfreien Methoden der Konfliktlösung. Ein offensichtliches Dilemma. Thomas Schmid