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Billiglohnland Sachsen lockt Westfirmen

Der geplante Umzug der Gießerei Schubert & Salzer nach Leipzig bringt Arbeitslosigkeit in Ingolstadt  ■ Von Thomas Fischer

Großen Rummel machte der Einstieg der Ingolstädter Eisengießerei Schubert & Salzer bei der Leipziger GISAG. Die sächsische Lokalpresse feierte das laut Geschäftsführer Kawlath „größte Industrieprojekt in Leipzig“ in ihren Schlagzeilen: „600 Jobs bei der GISAG in letzter Sekunde gesichert.“

Die GISAG war bis zur Wende der größte Arbeitgeber in Leipzig. Auf einem Firmengelände von fast 500.000 Quadratmetern waren 5.700 Menschen in fünf verschiedenen Gießereien beschäftigt. In erster Linie wurde für die Automobil- und Rüstungsindustrie produziert. Die Treuhandanstalt teilte die GISAG in fünf mittelständische Unternehmen und sieben Kleinbetriebe auf, die teilweise privatisiert wurden. Dadurch sollen insgesamt tausend Arbeitsplätze erhalten bleiben.

Schubert & Salzer erwarb nun die Sphäro-Gießerei der GISAG und verpflichtete sich, die 200 überwiegend kurzarbeitenden Beschäftigten zu übernehmen, bis zum Jahre 1996 weitere 400 Pätze zu schaffen und 90 Millionen Mark zu investieren. Die Initiative von Schubert & Salzer gilt als Vorzeigeprojekt für den „Aufschwung Ost“.

Schubert & Salzer will die Leipziger Gießerei „künftig als zweite Betriebsstätte“ führen. Sentimentale Anhänglichkeit an den „alten deutschen Gießereistandort Leipzig“ spielte bei der Entscheidung jedoch keine Rolle, auch wenn dies immer wieder behauptet wird. Das Unternehmen verschweigt nämlich, daß die Produktion vollständig verlagert und der Ingolstädter Betrieb geschlossen werden soll. Hintergrund ist das Gerangel in Ingolstadt um den Standort der Gießerei. Das Firmengelände im Stadtzentrum ist gepachtet. Ob der Vertrag 1995 verlängert wird, ist fraglich.

Angestellte bei Schubert & Salzer sehen in CSU-Oberbürgermeister Schnell den „Haupträdelsführer“ einer Lobby, die sich in der Öffentlichkeit als Umweltschützer profilieren und die Gießerei aus dem Stadtkern verbannen möchte. In Wahrheit jedoch, so vermutet man, geht es dieser Lobby um das lukrative Geschäft mit dem Bau eines Kongreßzentrums auf dem 100.000 Quadratmeter großen Firmengelände.

Die 600 deutschen und türkischen Arbeitnehmer, die in Ingolstadt um ihre Jobs bangen, sind auf Kawlaths Medienspektakel daher nicht gut zu sprechen: „Uns nimmt man den Arbeitsplatz, und drüben schafft man einen neuen“, sagte einer von ihnen. „Aber es wird kein zusätzlicher Job geschaffen. Der einzige Gewinner ist unsere Geschäftsleitung.“ Sowohl die zuständigen Behörden als auch die Geschäftsleitung in Ingolstadt hüllen sich in Schweigen. Fest steht jedoch, daß die Entscheidung zur Investition in Leipzig nicht schwergefallen sein dürfte. Das Grundstück der GISAG wurde von der Treuhand „für ein Taschengeld verschleudert“ — so die Meinung eines Arbeitslosen in Leipzig, der bis zur Wende bei der GISAG angestellt war. Das Land Sachsen und die Stadt Leipzig haben sich verpflichtet, die nötige Infrastruktur aufzubauen. Von den zugesagten 90 Millionen DM Investitionen werden 20 Millionen von der Treuhandanstalt zugeschossen. Angesichts dieser Zahlen ist es verständlich, daß Kawlath die Treuhand als „sehr fähigen Partner“ bezeichnet. Nach Abzug der übrigen Investitionsförderungen und unter Berücksichtigung der Steuererleichterungen bleibt nur ein relativ geringer Betrag, den das Unternehmen selbst tragen muß.

Eine wesentliche Rolle bei der Vorstandsentscheidung für Leipzig haben auch die Arbeitsverhältnisse in den neuen Bundesländern gespielt. Dabei ist die Firma Schubert & Salzer kein Einzelfall. Die Gußproduktion ist sehr lohnintensiv: Mit rund 40 Prozent ist der Lohnkostenanteil überdurchschnittlich hoch. Die größte Konkurrenz für Schubert & Salzer sitzt daher in den Billiglohnländern CSFR und Polen. Die niedrigen Löhne in Sachsen, die im Organisationsbereich der IG Metall bei cirka 50Prozent des Westniveaus liegen, sind für das Ingolstädter Unternehmen sehr verlockend. Kawlath schwärmt denn auch von dem Lohnniveau, das beispielsweise Thyssen dazu veranlaßte, Teile der Gußproduktion dorthin zu verlegen. Schubert & Salzer haben darüber hinaus auch im thüringischen Lobenstein ein Feingußwerk übernommen.

In Ingolstadt konnte der Betriebsrat zusätzlich zum Tarifvertrag Betriebsvereinbarungen über die Altersversorgung durchsetzen. Nach Leipzig wurden diese Vereinbarungen nicht übertragen. Geschäftsführer Stutz sieht auch keinen Grund, dies nachzuholen. Im Mai 1992 wurde ein Gesamtbetriebsrat gegründet, der nunmehr versuchen will, die Interessen der in Leipzig und Ingolstadt Beschäftigten zu koordinieren. Wie lange die Produktion in Ingolstadt weitergehen wird, steht in den Sternen. In Anbetracht der Konjunkturflaute in der Automobilindustrie sind die Aussichten schlecht, da das Audi-Werk der wirtschaftliche Dreh- und Angelpunkt der Region ist.

Das „größte Industrieprojekt Leipzigs“ verliert seinen Glanz, sobald man hinter die Kulissen blickt. Die 600 Arbeitsplätze sind für die Region Leipzig allenfalls ein Trostpflaster. Unter dem Strich gibt es nur einen Verlierer — die Arbeitnehmer: In Leipzig werden sie für niedrige Löhne beschäftigt, in Ingolstadt verlieren sie ihre Jobs.

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