Mad Max auf dem Marx-Engels-Platz

In Berlin, der Hauptstadt der Pyromanen, soll das Theater mit „Feuer & Schrott“ gerettet werden/ Die Akteure: Kain Karawahn, Mutoid Waste Company und andere Katastrophenkünstler/ Cooles Publikum bei Flamenco und Brutaloshow  ■ Aus Berlin CC Malzahn

Zu Hunderten hocken sie schon um 8Uhr abends auf den Feuertreppen des asbestverseuchten Palastes der Republik, von dort oben hat man die große Übersicht auf den Marx-Engels-Platz. Ein Teil dieser mitten in Berlin gelegenen Asphaltwüste wurde mit einem zwei Meter hohen Bauzaun abgesteckt, 15 Mark werden für den Eintritt ins Gelände verlangt. Die Zaungäste — gegen 23 Uhr werden es über tausend sein — können oder wollen nicht akzeptieren, daß Kultur etwas kostet, daß inszenierte Abenteuer ihren Preis haben. Was die Veranstalter dieser „spektakulären Freiluft-Performance“ versprechen, wäre mehr als 15 Mark wert, wenn es hinter dem Bauzaun eingelöst würde: „Pure menschliche Existenz in Echtzeit“, „Katastrophenkultur“, „Feuer und Schrott“. Denn höret, ihr weißweinsaufenden Krawattenträger, höret die Botschaft der pränuklearen Performancegruppen, die aus Kreuzberg und London, aus aller Welt sich auf dem Berliner Marx-Engels-Platz eingefunden haben: Das Theater ist tot. Wir, die wir uns so bizarre Namen wie Kain Karawahn, Mutoid Waste Company, D.N.T.T., RAMM oder HIRN gegeben haben: Wir hauchen dem Theater wieder Leben ein, wir erobern uns die verwaisten Plätze der Stadt zurück. Wir schockieren, faszinieren, revolutionieren.

Die Plätze der Stadt zurückerobern

Der Abend, an dem das Theater gerettet werden soll, beginnt mit dem Auftritt einer spanischen Flamencogruppe. Mit großen Gesten schwingt die stolze Tänzerin ihren Fächer, ein Gitarrist singt: Ay! Ay! Ay! Die Sonne versinkt hinter dem Zeughaus, alle wissen: Erst wenn der Berliner Himmel nachtblau schimmert, wird hier aus Feuer und Schrott ein neuer Kulturbegriff geschmiedet. Immer mehr Menschen trudeln auf dem Platz ein, die meisten zwischen 20 und 30 Jahren alt. Man hat sich fein gemacht: Einer hat ein paar Federn im langen schwarzen Haar, trägt zu seinem Lendenschurz eine Indianerhose. Während sich die Besucher der Deutschen Oper durch kleines Schwarzes und dunklen Anzug zu erkennen geben, weisen sich die Gäste der Freiluft-Performance durch derbes Schuhwerk als Kenner aus.

Hauptstadt der Brandstifter

Auftritt die Punkgruppe HIRN, die neben eigenen Kompositionen ein paar Sex-Pistols-Titel zum besten geben. Es ist schon zehn. Der Funkturm leuchtet hinter dem Palazzo di Prozzo auf tiefblauem Grund; nein, keine Sterne am Himmel, der Sommersmog hält dicht. Endlich kommt Kain Karawahn, der Pyromane. Über tausend Besucher ziehen von der einen Bühne zur anderen und starren fasziniert in ein flammendes Inferno. Karawahn malt feurige Bilder in die Nacht, setzt eine metallene Skyline — es soll Manhattan sein — mit Benzin in Brand. Jaja, Feuer hat was Faszinierendes. Aber was?

Berlin ist die europäische Hauptstadt der Brandstifter. In keiner anderen Stadt unseres Kontinents muß die Feuerwehr so oft raus wie an der Spree. Über 7.000 Feuerteufel zündeln jährlich in Berlin, legen Häuser und Wohnungen in Schutt und Asche. Ihre Motive sind, so vorhanden, verschieden: Gewinnsucht, politischer Protest oder Leichtsinn. Was treibt Karawahn um? „Wir erzeugen in der Mitte der Skyline das Nichts!“ brüllt er in ein Mikrofon, seine übrigen Worte verhallen ungehört auf dem riesigen Platz, weil die Lautsprecheranlage offenbar defekt ist.

Die Hitze macht durstig, die Jungs und Mädels am Bierstand kommen mit dem Löschen kaum nach. Das Bier ist billig: drei Mark pro Glas, für den kleinen Hunger gibt es Soulfood oder Spezialitäten aus der Chinapfanne. Die „spektakuläre Freiluft- Performance“ steuert auf ihren Höhepunkt zu. Wird jetzt endlich das Theater wachgeküßt? Erleben wir nun die „pure menschliche Existenz in Echtzeit“? Der letzte Programmpunkt wird von der internationalen Performance-Gruppe D.N.T.T. Bestritten. Wie ihr Theaterstück heißt, wissen wir nicht. Geben wir ihm den Arbeitstitel: Mad Max meets Marx- Engels-Platz.

Mit einem umgebauten Auto, das Arnold Schwarzenegger sofort für seinen Terminator-Film einkaufen würde, brettern zwei in Plastiktaschen gehüllte Wesen über den Platz. Die Bühne ist überall, das Publikum plötzlich eine Bande von Voyeuren. Die Handlung des Stücks ist schnell erzählt: Mann lockt Frau in Falle, bringt sie auf einem elektrischen Stuhl um und verspeist mit einer Königin ihr Gehirn.

Was erschüttert Autonome?

Es folgen einige pyroakrobatische Einlagen, es funkt und brennt, es wird gebrüllt und geschmatzt. D.N.T.T. gibt sich redlich Mühe, das Publikum zu schockieren. Das sei „die Aufgabe des Theaters in der rauhen und reizüberfluteten Welt von 1992“ — so ein Mitglied des Ensembles gegenüber der Stadtzeitschrift 'Zitty‘, die das Spektakel mit veranstaltet. Durch eine „pyromantische“ Titelstory neugierig gemacht, bekamen die Zuschauer des Freiluftspektakels genau das zu sehen, was sie erwartet hatten. Die einzigen verängstigten Wesen waren die Kleinkinder, denen die Kinderei des grellen Treibens ein Geheimnis bleiben mußte. Die linke und autonome Szene mit ihrem ewig-coolen Gebahren war ohnehin gefeit; man/frau glaubte, schon schlimmerer Dinge ansichtig geworden zu sein.

Was blieb? Viele Bekannte, ein bißchen Feuer, ein bißchen Schrott. Die BesucherInnen wurden — mit Flamenco und Punk, mit Benzin und Materalien aus dem Mad-Max-Fundus — genauso bedient wie der Berlin-Tourist aus Wanne-Eickel, der sich an Carmen in der Komischen Oper oder an Lola im Theater des Westens erfreut. Statt des vergeblichen Veitstanzes um die „Echtzeit“ hätte sich der Einsatz einer Zeitmaschine angeboten, die die ganze innerhalb und außerhalb des Bauzauns versammelte Mischpoke um drei Jahre zurückversetzt: Marx-Engels- Platz, Sommer 1989, Berlin, Hauptstadt der DDR. Während Kain Karawahn die Nacht zum Tag macht, trinken die Kreuz- und Prenzlberger Brüder- und Schwesternschaft. Und plötzlich kommt die Volkspolizei.

Das Feuer-und-Schrott-Spektakel läuft bis zum 18. Juli jeweils um 20 Uhr.