Nötig wäre Freundlichkeit

■ In Hamburgs Sozialämtern kommt es immer wieder zu Gewalttätigkeiten: Fürsorgeempfänger lassen ihre Verzweiflung an oftmals überforderten Sachbearbeitern aus

kommt es immer wieder zu Gewalttätigkeiten:

Fürsorgeempfänger lassen ihre Verzweiflung an oftmals überforderten Sachbearbeitern aus.

Angst vor seinen „Kunden“ hat Sozialsachbearbeiter Christian Ridders nicht gerade. Doch er sieht sich schon genau an, wer da an Sprechtagen seine Amtsstube im Altonaer Sozialamt betritt. Ein guter Blick für Menschen gehört für ihn zum Handwerkszeug. „Wenn ich merke, jemand ist besonders aufgeregt oder geladen, begrüße ich ihn möglichst freundlich.“ Das nehme aggressiven Antragstellern meist den Wind aus den Segeln.

Ein Patentrezept gegen die zunehmende Gewalt im Sozialamt ist das natürlich nicht. Christian Ridders verläßt sich im Zweifel auf seine Körperkraft, um einen allzu zudringlichen Hilfeempfänger aus der Tür zu schieben. Seine Kollegin, die mit ihm das Büro teilt, erzählt: „Manchmal nehme ich meine Schere vom Schreibtisch.“ Im Kollegenkreis hat es sich herumgesprochen: Unzufriedene Kunden lassen immer öfter Wut und Verzweiflung an Sachbearbeitern aus, greifen mit Brieföffnern oder schweren Gegenständen an.

Nach einer Umfrage der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) un-

1ter rund 40 Sozialämtern ist Gewalt in den Dienstzimmern von Wilhelmshaven bis Rosenheim ein wichtiges Thema. Eine mögliche Ursache sieht Sigrid Ihring von der Hauptabteilung „Gemeinden“ der ÖTV in Stuttgart, verantwortlich für die Fragebogenaktion, im Behördenwirrwarr: „Vielen Hilfesuchenden macht der Kompetenzendschungel von Sozial-, Wohnungs-, Arbeits- und Jugendamt Angst, sie werden zur anonymen Nummer bei den Sachbearbeitern.“ Ein weiterer Grund: Bundesweit steigt die Zahl der Sozialhilfeempfänger. Vier Millionen Menschen sind es im Moment, rund doppelt so viele wie 1981. In Hamburg sind 68700 Menschen auf soziale Fürsorge angewiesen. Hinzu kommen 21300 Aussiedler und Asylbewerber. Die Hansestadt unterstützt sie mit jährlich 650 Millionen Mark. Im Durchschnitt bekommt jeder einzelne also rund 600 Mark pro Monat. Ein Tropfen auf den heißen Stein, bei hohen Lebenshaltungskosten und wachsender Wohnungsnot.

An Sprechtagen ist die Luft im Altonaer Rathaus dicker als sonst. Rauchschwaden von unzähligen Zigaretten ziehen durch die ungemütlichen und abgenutzten Flure. Stuhlreihen stehen an kahlen Wänden, Kinder schreien. Ein beleibter Mann döst, verscheucht eine Fliege. Sein Nachbar liest einen Krimi. Etwas versteckt stehen Bierflaschen unter einem Tisch.

Wartezeit. „Wenn du zum Amt gehst, mußt du arbeitslos sein oder Urlaub haben“, sagt eine junge Frau, die Kleidergeld für sich und ihr Kind beantragen will. Sie hat wie alle anderen ihren Personalausweis abgegeben und dafür eine Nummer erhalten. Jetzt sitzt sie auf einem der Holzstühle, wippt das Kind auf den Knien. „Daß es einen Wickelraum gibt, ist ein Gerücht.“ Sie habe ihn jedenfalls noch nicht gesehen.

„Man braucht Nerven wie Drahtseile“, knurrt ein Mann drei Meter weiter. Er lebt seit einigen Jahren von Sozialhilfe, aber: „Was die mir hier als Bedarf ausrechnen, ist nicht einmal Aldi-Standard.“ Für ihn ist es kein Wunder, daß manche Leute mit geballter Faust rausgehen. „Die Sachbearbeiter machen immer pünktlich Pause und lassen uns hier sitzen.“

Christian Ridders kennt die Probleme sehr gut. Im Juni kam es zu einer Schlägerei vor der Kasse. „Die Menschen haben das Warten in Dreierreihe einfach nicht mehr ausgehalten“, sagt er. Polizei mußte schließlich den Zugang regeln. Zu Aggressionen führt offenbar auch der gestiegene Ausländeranteil. „Es kommt vor, daß Ausländer als Neger und Kaffer beschimpft werden.“

Seiner Beratungspflicht kann er in letzter Zeit kaum noch nach-

1kommen. „Altona ist ein soziales Spannungsgebiet, das merken wir an unseren Fallzahlen.“ Um ungefähr 150 Akten muß er sich Monat für Monat kümmern — bei jedem Vorgang sucht er den schmalen Pfad durch den Wust von Vorschriften. 200 Formulare gibt es dafür, mindestens 20 braucht er für einen Fall. Doch: „Hinter jeder Akte kann auch eine Familie mit sechs Kindern stecken.“ Dann dauert die Bearbeitung länger.

Weniger dramatisch sieht Klaus Dieter Bobke, Amtsleiter des Sozialamts Hamburg-Mitte, die Situation. „Gewalt ist bei uns kein größeres Thema als in anderen Behörden.“ Dennoch patrouillieren an Sprechtagen zwei Wachmänner durch die engen Gänge des Gebäudes an der Kurt-Schumacher-Allee. Offizielle Begründung: Sie sollen Antragstellern, vor allem Asylbewerbern, den Weg durch das Zimmerlabyrinth weisen und gelegentlich für Ordnung sorgen. „Die Anwendung körperlicher Gewalt erlebe ich höchstens alle zwei Jahre“, meint Bobke. Häufiger komme es schon vor, daß Leute auch nach Aufforderung nicht aus dem Zimmer gehen.

Auf seinem Schreibtisch hat der Amtsleiter sichtbar einen großen, roten Alarmknopf. „Damit ist es aber nicht getan“, meint er, „Gewalt wird nur durch bessere Rahmenbedingungen reduziert.“ So hat er angeordnet, daß nur noch in den Treppengängen geraucht werden darf, nicht mehr im Wartebereich. Gegen die niedrigen Flure und den zu geringen Platz kann auch er nichts unternehmen. Und schließlich gibt der Amtsleiter zu: „Zweimal hatte ich in meinen acht Dienstjahren beim Sozialamt wirklich Angst.“

Viele der akuten Probleme bleiben in der Behördenhierarchie stecken, erreichen Klaus Dieter Bobke nicht. Tagtägliche Schwierigkeiten müssen durch die Abteilungsleiter aufgefangen werden. „Wir sind die Front und kriegen den Ärger ab.“ Die Abteilungsleiterin Claudia Behrend* erzählt aus eigener Erfahrung: „Hilfeempfänger werden sehr oft laut, knallen mit den Türen.“ Ein Ergebnis von Mißverständnissen, hervorgerufen durch lange Wartezeiten. Und: „Viele Sachbearbeiter verstehen ihre Klienten nicht, weil sie in einer ganz anderen sozialen Schicht zu Hause sind.“ Das überfordere die zumeist jungen Angestellten, die dennoch objektiv und beruhigend sein sollen.

Obdachlose, Drogen- und Alkoholabhängige gehören zur Klientel der Sozialsachbearbeiter. Ohne Frage, keine ganz einfache Kundschaft. Versetzungsanträge werden denn auch „am laufenden Meter“ geschrieben. Jedes Jahr wechseln zehn Prozent der Kollegen ihren

1Arbeitsplatz. Eine sehr hohe Zahl, die auch durch eine etwas bessere Besoldung nicht verhindert werden kann. Interne Stellenausschreibungen führen kaum zu Bewerbungen. Meist werden Fachhochschul-Absolventen in den sensiblen Bereichen eingesetzt — ob sie wollen oder nicht.

Die Hilfeempfänger müssen sich wieder und wieder an neue Gesichter gewöhnen. Ihnen sitzen immer jüngere, lebensunerfahrene Mitarbeiter gegenüber. Die in Not geratenen Menschen fühlen sich oft von oben herab behandelt, sie müssen ihre Lebensverhältnisse preisgeben und wissen selbst nichts von ihrem Gegenüber. Diese für sie vollkommen unbekannte Person gibt oder verweigert ihnen ihr Auskommen, das nicht selten als Almosen empfunden wird. Ohne die Gründe zu begreifen, halten sie sich von Bescheid zu Bescheid über Wasser. Der Gang zum Sozialamt wird zum Spießrutenlauf. „Manchmal stelle ich mir vor, daß alle in den Büros freundlich zu mir sind“, beschreibt ein Obdachloser seinen Tagtraum während der Wartezeit.

Freundlichkeit hält auch der Diplom-Psychologe Klaus Hartwig* für eine der wichtigsten Voraussetzungen im Umgang zwischen Sachbearbeitern und Hilfeempfängern. „Wer zum Sozialamt geht, empfindet in aller Regel ein starkes Gefühl des Unterlegenseins.“ Die Menschen reagierten darauf äußerst unterschiedlich: „Einige ziehen sich völlig zurück, andere platzen heraus.“ Diesen Schutzschirm müsse der Sachbearbeiter knacken. „Freundlichkeit auf Knopfdruck ist allerdings schwierig.“ Da seien die eigenen Probleme, die man andere spüren lasse.

Klaus Hartwig empfiehlt deshalb Schulungen für Sozialsachbearbeiter. Sie sollen vor allem lernen, ihren eigenen Ärger zu bemerken und damit umzugehen. „Nur wenn ich selbst einigermaßen ausgeglichen bin, kann ich auf meine Kunden verständnisvoll zugehen.“

Zwei Kurse pro Jahr leitet Klaus Hartwig bereits — organisiert vom Sozialamt Eimsbüttel. Teilnehmerzahl der Kommunikations- und Kooperationsseminare: 30 Sozialamts- Mitarbeiter. Bei einer Gesamtzahl von rund 1000 Sachbearbeitern in ganz Hamburg erstaunlich wenig. Hartwig plädiert denn auch für Auffrischungskurse, die seines Erachtens absolut notwendig sind.

Doch der Behördenalltag läßt eine Abwesenheit der Angestellten kaum zu. Urlaubs- und Krankheitsvertretungen sind neben den eigenen Akten mitzuerledigen. „Gut wäre ein ruhiges Zimmer im Amt“, meint Klaus Hartwig, „das mit Teppichboden und Punchingball ausgestattet ist, und in dem sich die Sachbearbeiter entspannen können.“ Zeit müsse dafür sein, denn: „Diese Zeit wird dann an verhinderten Auseinandersetzungen wieder eingespart.“

Obwohl fast alle Sachbearbeiter während ihrer Arbeitszeit mit Gewalt konfrontiert werden, gibt es bis jetzt kein spezielles Kursangebot zu diesem Thema. Mittel für Fortbildungsseminare stehen sowieso kaum zur Verfügung. Die Fortbildungsbeauftragte im Sozialamt Eimsbüttel, Daniele Böttcher, die auch für die anderen Sozialämter der Hansestadt zuständig ist, registriert allerdings auch keinen Bedarf. „Die Kollegen besuchen lieber fachliche Fortbildungen.“ Das Sozialrecht werde immer komplizierter. „Es dauert schon ein Jahr, bis jemand da eingearbeitet ist.“

Das könnte sich bald ändern. In Eimsbüttel wird gerade ein neues Computersystem getestet, das den Sachbearbeitern einen Großteil ihrer Aktenführung abnehmen soll. Das Programm heißt PROSA (Projekt Sozialhilfe Automation) und wurde eigens für die Hamburger Sozialämter entwickelt. Es ist bisher einmalig in der Bundesrepublik, hat deshalb Pilotcharakter. „Die Zahlungswege werden beispielsweise entscheidend verkürzt“, meint Ursel Becher, Jugend- und Sozialdezernentin in Eimsbüttel. War das Geld früher Wochen unterwegs, kann es jetzt innerhalb weniger Tage auf dem angegebenen Konto sein. „Ein gläserner Bürger wird nicht geschaffen.“ Das vorhandene Geld solle lediglich gerechter und außerhalb der Willkür des einzelnen Sachbearbeiters verteilt werden.

1Ziel ist es ferner, die Aktenarbeit der Angestellten soweit zu verringern, daß zusätzliche Sprechtage eingeführt werden können. „Wir wollen den Menschen in absehbarer Zeit eine vernünftige Beratung anbieten“, plant Ursel Becher. Allerdings werden wohl Rationalisierungen mit der Modernisierung der Behördenarbeit einhergehen. Ob dann die Bemühungen um eine intensivere Betreuung der Antragsteller zum spürbaren Erfolg führen werden, bleibt abzuwarten.

Eine wirkliche Entlastung der Sachbearbeiter wäre im Sinn der Gewerkschaft. Personalrätin Brigitte Gröschel betont: „Die Arbeit soll ja auch Spaß machen. Doch davon sind wir im Moment sehr weit entfernt.“ Aus eigener Erfahrung weiß sie: „Privat bekommt man schnell den Stempel der Zielgruppe aufgedrückt, mit der man arbeitet.“ Im Klartext: Wer beruflich mit Sozialfällen zu tun hat, wird von so manchem selbst als asozial hingestellt. „Es fehlt die Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.“ Als sie noch als Sachbearbeiterin tätig war, ging einmal ein Mann mit der Axt auf sie los. Völlig verschreckt konnte sie weglaufen. Der Angriff war „ein Versehen“, wie sie heute sagt, „ich habe gerade für einen Kollegen die Urlaubsvertretung gemacht“. Wie ernst die Situation tagtäglich sein kann, hört sie auch bei Gesprächen: „Neulich waren sieben Sachbearbeiter in eine Schlägerei verwickelt, weil sie einen Streit schlichten wollten.“ Telefonterror sei durchaus üblich. Kollegen würden auf dem Nachhauseweg überfallen. „Besonders schlimm ist es im Sozialamt Billstedt.“

Lösungen weiß auch Brigitte Gröschel nicht. Die Gewerkschaft ÖTV biete derzeit keinen vernünftigen Arbeitskreis Sozialämter an. „Es müßte Seminare geben, bei de-

1nen die Teilnahme Pflicht ist.“ Am besten natürlich wäre es, „wenn es für alle, die jetzt zum Sozialamt müssen, Arbeit und bezahlbare Wohnungen gäbe.“

Die Lautsprecherstimme ruft durch den langen Flur: Nummer 18 in Zimmer 252, Nummer 18. Ein alter Mann steht von seinem Platz auf, geht auf die als Zimmer 252 bezeichnete Tür zu. Davor bleibt er kurz stehen, zieht seine Jacke

1zurecht und streicht sich mit zitternden Händen über das Haar. Dann klopft er leise an, tritt in den Raum. Seine gekrümmte Gestalt erscheint hinter der geriffelten Glasscheibe in der Tür nur noch verwischt. Ein Farbklecks, der sich nicht bewegt.

Der nächste setzt sich auf den leeren Stuhl. Doch eine Frau sagt: „Besetzt“. Sie kennt das schon, der alte Mann wird zurückkommen und erneut warten. Von irgendwoher unterbricht ein kurzer Schrei die bedrückende Stille. Niemand schreckt auf oder hört hin. Torsten Schubert

* Name von der Redaktion geändert