Familie in die Wüste geschickt

■ Wismarer Flüchtlingsbetreuer kritisieren Umverteilungsbeschluß der Ausländerbehörde

kurzerhand zurück

„So nicht“, dachten sich die Flüchtlingsbetreuer in Wismar, als die Hamburger Innenbehörde ihnen im Rahmen der Umverteilung von Asylbewerbern eine zehnköpfige aramäische Familie schickte. Die Betreuer kauften Fahrkarten, so daß die Familie zurück nach Harburg reisen konnte. Dort haben die streng gläubigen Flüchtlinge eine kleine Enklave im fremden Land gefunden. Die beherzten Wismarer warten jetzt auf ein zorniges Echo aus Hamburg.

Die Familie Arcan kam mit ihren fünf minderjährigen Kindern vor anderthalb Jahren aus der Türkei in die Bundesrepublik. Zur Familie gehören außerdem ein verheirateter Sohn mit seiner hochschwangeren Frau und einem Kleinkind. Sie sind Aramäer und sprechen ihre eigene Sprache. Die von den Moslems verfolgte religiöse Minderheit der Aramäer ist traditionell in den Tälern zwischen Syrien, der Türkei und dem Irak ansässig. Sie gehören der syrisch-orthodoxen Kirche an.

Die Christen waren vor einigen Wochen in der Asylabteilung der Ausländerabteilung regelrecht einkassiert worden. Von dort wurden sie nach Rostock gebracht, ohne daß sie zuvor Gelegenheit erhielten, ihre Verwandten in Harburg zu benachrichtigen. Im zentralen Aufnahmelager von Mecklenburg- Vorpommern sollten sie ihre Umverteilung auf das neue Bundesland abwarten. (Alle Asylbewerber werden nach einem ausgehandelten Schlüssel gleichmäßig auf die Republik verteilt.) In Wismar passierte dann etwas Ungewöhnliches: Die Beamten fanden die Hamburger Praxis so ungeheuerlich, daß sie der Familie Arcan eine Reiseerlaubnis zurück nach Harburg ausstellten.

Seit rund vierzehn Tagen sind die Aramäer wieder hier. Sie wohnen bei Verwandten. Mitglieder einer Harburger Gemeinde finanzieren die Wohnung. Hier können sie ihre (in der Ex-DDR nicht existente) Religion ausüben. Hier leben ihre Verwandten. Ein Minimum an Integration ist gewährleistet. Pastor Bernd Kähler von der nahegelegenen Kirchengemeinde macht den Aberwitz des Umverteilungsverfahrens deutlich: „Es war würdelos, sie nach Mecklenburg-Vorpommern zu schicken. Hier haben sie eine Wohnung und können angemessen betreut werden. Dort entstehen für ihre Unterbringung horrende Kosten, und ihre religi-

1öse Identität wird mißachtet.“

Pastor Kähler und auch der Harburger Bezirksamtschef Michael Ulrich (SPD) wollen sich für den Verbleib der Aramäer einsetzen. Zuvor ist ein seltener Verwaltungsakt notwendig: Die Wismarer Betreuer schreiben an die Beamten in Rostock. Diese wenden sich mit dem Anliegen, die Umverteilungsorder zurückzunehmen, an die Hamburger Innenbehörde. Die Asylabteilung entscheidet dann in einigen Wochen, daß die Familie Arcan ... unter diesen Umständen ... ausnahmsweise ... nicht weggeschickt wird. Wenn alles gutgeht. Lisa Schönemann