Erstarrung zu Bewegung

■ „Augen eines blauen Hundes“: Freiraum bringt Marquez-Prosa auf die Bühne

Noch ist der Raum weit und leer. Darin bewegen sich drei Frauen und zwei Männer, verbiegen sich kunstgerecht, staksen wie Skelette, schieben mit den Händen eine unsichtbare zähe Masse vor sich her oder weichen davor zurück. Geräuschvoll stoßen sie ihren Atem aus. Später werden die fünf sich auf einer kleinen weißen Bühne wiederfinden, über die sie toben und kriechen, auf der sie schreien und flüstern. „Ojos de perro azul“ — „Augen eines blauen Hundes“ schreibt eine Frau in schwarzem Kleid unzählige Male auf eine Glasscheibe, denn der Mann, dem sie im Traum begegnet, soll den Satz, an dem sie ihn erkennen wird, beim Aufwachen nicht wieder vergessen.

Im „Sommerprojekt“ im Freiraumtheater hat Jürgen Müller- Othzen sich diesmal Texte von Gabriel Garcia Marquez vorgenommen, um daraus gemeinsam mit Amateuren ein Stück zu entwickeln und auf die Bühne zu bringen. Die Textsammlung „Augen eines blauen Hundes“ stammt aus Garcia Marquez' Anfängen als Schriftsteller. Die Geschichten sind Texte der Erstarrung, in denen Garcia Marquez Zustände zwischen Traum und Wachen, jenseits von Leben oder Tod beschreibt. Nicht eben eine sommerlich-fröhliche Atmosphäre, die der Schriftsteller beschwört und die das Sommerprojekt auf der Bühne entstehen lassen will. Doch das konnte die SchauspielerInnen nicht schrecken. Es sind Geschichten, bei denen man „intellektuell nicht weiterkommt“ erklärt Mechthild Hettich, eine der Schauspielerinnen. Die ProjektteilnehmerInnen versuchten daher, sich in die Stimmung der Texte einzufühlen und diese in Körperbewegungen umzusetzen. Projektleiter Jürgen Müller-Othzens Schlüsselwort ist „Natürlichkeit“. Es geht ihm nicht um möglichst kunstvoll- künstlich Verrenkungen. Jede Bewegung soll die „Erinnerung an den Alltag“ bewahren. Die Figuren und Soli, die die SpielerInnen im Bewegungstraining entwickelt hatten, fügten sie später zu einem Stück zusammen. Daß die Vorlage aus verschiedenen kurzen Geschichten bestand, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben, bereitete dem Projekt wenig Schwierigkeiten. „Wir entdeckten, daß man an bestimmten Schnittstellen von einer Geschichte in die andere, von einem Leben ein anderes wechseln kann“, erläutert der Projektleiter.

Vier der TeilnehmerInnen des Sommerprojekts sind AmateurschauspielerInnen. Doch auch für Bernd Rast, den Bühnenprofi, ist Körpertheater eine ziemlich neue Erfahrung. „Ich habe meine Beine erst im hohen Alter entdeckt“, sagt der Schauspieler. In fünf Wochen haben die drei Frauen und zwei Männer unter der Leitung von Jürgen Müller- Othzen im Freiraum-Theater ein Stück einstudiert, das sie am Wochenende vor Publikum aufführen wollen. Damit geht das Projekt über die üblichen Theaterworkshops und —kurse hinaus. Mechthild Hettich schätzt „die Spannung“, die durch die Aufführung am Ende des Projekts entsteht, denn „das zwingt uns, uns festzulegen“. In der kurzen Zeit lasse sich das Stück natürlich nicht im Detail ausfeilen, schränkt Jürgen Müller-Othzen ein. Was schließlich dem Publikum vorgestellt werde, sei eine Werkstattaufführung, ein „roher Prototyp“.

Das anfängliche Entsetzen, das viele beim Lesen der düsteren Texte von Garcia Marquez empfinden, haben die Schauspieler und Schauspielerinnen rasch überwinden. Natürlich gebe es in den Texten reichlich Todesbilder, meint Cristina Tetzner, eine der SchauspielerInnen, „aber sie sind auch gespickt mit Bildern der Sinnlichkeit“. Und ihr Szenen- Partner Henner Schneider entdeckte in den Geschichten trotz der ihm sehr fremden Denkweise sogar humorvolle Stellen. — „Kleine Edelsteine“ nennt sie Schatzsucher Müller-Othzen. Und so verliert selbst der Tod für Künstler sein Grauen. Denn, so Müller-Othzen: „Wenn man aus dem Tod heraus spielt, merkt man vielleicht, daß er so schrecklich nicht ist.“ Diemut Roether

Am Freitag, Samstag und Sonntag um 20.30 Uhr im Freiraum-Theater, Grundstr. 10