Junge Löwen

■ Coole sidemen machen Musik, junge Löwen das Geschäft Oder: Einige Randnotizen zum »Jazz in July Festival« im Quasimodo

Gib mir noch ein paar Jahre, um ein bißchen besser Klavier spielen zu lernen, dann werde ich auch ein Jazzalbum machen«, sagte Stevie Wonder kürzlich. Sein langjähriger Drummer Denis Davis, den er in Do I Do so liebevoll anfeuert, und Gitarrist Zachary Breux sorgten schon beim ersten Intro der Ray Ayers Band für den speziellen Wonder- Groove. Sie gehören zu der Sorte »sidemen«, die an abgestellte Eisblöcke denken lassen, wenn sie links und rechts der großen Stars routiniert und scheinbar teilnahmslos für den Sound und Drive sorgen, der anmacht.

Gänzlich ohne sidemen sorgte das Paul Motian Trio am sonst flauen Montagabend für ein volles Haus — ECM-lastige Monk-Homage mit Bill Frisell und dem heimlichen Star des Festvals Joe Lovano, der vielgefragte New Yorker Tenorist um die vierzig. Manchmal kann man ihn binnen einer BigApple Woche im Vanguard-Orchestra, in der Knitting Factory mit Motian/Frisell, im Blue Note mit John Scofield, Kenny Werner oder John Abercrombie, im Sweet Basil mit Charlie Haden's Liberation Orchestra oder im Visiones mit eigener Gruppe erleben. Kein Skalenfetischist oder Akkordflicker, steht der Saxophonkoloß mit dem warmen Ton bescheiden in die linke Ecke der Quasibühne gedrängt und bläst den Club down: A musicians music! »Irgendwie finden die jungen Techniker keinen eigenen Ton und spielen ohne Ausdruck. Ich will diesen Abgrund überwinden, in die Tiefen meines Instruments vordringen. Das ist die Message von Rollins, Stitt, Trane und Rahsaan: Expression.«

Im Outfit eines New Yorker Taxifahrers aus East Harlem machte der Altsaxophonist Paquito D'Rivera einen Tourneestop im Kellerclub. Mit dem routinierten Blick auf die Uhr, »es ist 1.30h und der Flug zum nächsten Festival startet bereits in 5 Stunden« — energiegeladen, unaufhörlich gute Laune verbreitend, selbst wenn seine Witze kaum Eckkneipenniveau erreichen, lädt Paquito in der Tradition der Afro-Cuban-Entertainment-Schule seines Altmeisters Dizzy Gillespie zum Abend der offenen Tür: pure Kommunikation der wirksamen Art. Im Gepäck hat er den 22jährigen Pianisten Ed Simon, der einem verliebten Jungen gleicht und mit flüchtigen Seitenblicken auf seinen Mentor den Club zum brodeln bringt. »Ich bin sehr jung und glaube, daß ich mich noch selbst finden muß«, sagt der introvertierte Tastenromantiker venezuelanischer Herkunft, der zugleich Mitglied von Bobby Watson's Post-Motown Bop Band Horizon ist, Herbie Mann begleitet und mit Kevin Eubanks oder der M-Base Gruppe um Greg Osby funkt, »je unterschiedlicher die Musik ist, die ich mache, desto offener werde ich«.

Ein anderer Young Lion ist der 27jährige Pianist Joey Calderazzo, dessen zweites Album To Know One mit Sidemen Dave Holland und Jack DeJohnette gerade veröffentlicht wurde. Er macht kein Hehl daraus, eher im Rock und in der Klassik verwurzelt zu sein, als im Jazz. »Zu Hause übe ich schon das ganze Bebop Zeug, doch wenn ich auftrete, mache ich meine eigenen Sachen. Na klar sind die kids ein Verkaufsschlager, wenn sie die alten Sachen imitieren. Aber diese Musik wurde früher schon mal viel besser gespielt, als sie noch innovativ war.« (Er ist mit dem Jerry Bergonzi Quartett nochmal in der Stadt, am 25. Juli im Podewil.)

Der Young Lion Saxfunker Art Porter entpuppte sich bei seinem einzigen deutschen Clubauftritt als wahrer Shooting-Star des Festivals. Er präsentierte Energie pur, unverbraucht und atemberaubend, mit der bislang ausgeschlafensten Band, die jüngsten kids aus der George-Benson- und Miles-Schule. Straight no chaser — see you Art!

Als alternder Hase geht bereits der Saxophonist Bill Evans durch, ein Miles-Kid Jahrgang 58, der zwar sagt, daß er noch übt und seine aktuelle Fusion-Formation vorsorglich schon mal Superband nennt (mit der romantischen Schlaftablette Chuck Loeb an der Gitarre, 15.7.). Und auch wenn der Bassist Santi Debriano, Jahrgang 1955, als Sideman der Sax- Formation Roots (17.7.) Gefahr läuft, übertönt zu werden — ihm sollte ein Solo unbedingt zu entlocken sein!

Dem Paten gleich hat Godfather James Brown seinen Neffen Maceo oft genug gesegnet, daß der jetzt als Souljünger die Gemeinde betört. Da läßt's sich als Gott schon überleben, wenn auch auf die arg erdische Art hinter Gittern, denn Parker's Roots Revisited klingen allenfalls wie Verkünder (20.7./Abschlußparty im Tempodrom). Mit dabei der 23jährige Young Lion Larry Goldings an der Orgel. Er war einer der ersten Absolventen des Jazzdepartments an der N.Y.er New School for Social Research, eins unter derzeit über 400 amerikanischen Jazzkollegs und 40 Jazzuniversitäten. Der Jazzpädagoge Billy Taylor zählt derzeit mehr als 35.000 Jazzensembles in den U.S., und wenn die Young Lions nicht aus den New Orleanser Musikerfamilien stammen, dann kommen sie über Berklee oder Brooklyn.

»Wir machen Geld bei Blue Note, das ist mit Jazzplatten eigentlich sonst nicht zu schaffen«, sagte der Jazzproduzent Bruce Lundvall jüngst. Ein Schlüssel dazu sind die Young Lions. »Sie sind billig zu produzieren — besonders die jungen Akustikbebopper, und für den Verkauf zählt Kurioses mehr als die Musik«, ergänzt Richard Seidel von Verve/PolyGram Jazz. »Nichts zählt mehr, als daß sie in der 'Newsweek‘ oder 'Time‘ erwähnt werden.« Und so geschieht es, daß schließlich Musiker auf der Bühne stehen, die nicht alt genug sind, im gleichen Club einen Drink ausgeschenkt zu bekommen, wie etwa der Saxophonist Amani A. W. Murray, der nach seinem Plattendebut Happy Anniversary Charlie Brown!, gerade 13jährig, plante, eine Bebopplatte aufzunehmen.

»Sperrt sie in den Käfig und laßt sie erstmal erwachsen werden«, lautet der bissige Kommentar von Lester Bowie, Jahrgang 41. »Einige sind wahnsinnig talentiert — Wallace Rooney, Wynton Marsalis, Terence Blanchard, Roy Hargrove, Nathan Breedlove oder Ron Howard. Aber sie müssen lernen, ihr Talent zu gebrauchen, um zu sich selbst zu finden, denn wenn du Jazz spielst, kommt nur das raus, was du wirklich bist. Wir können nicht damit zufrieden sein, wo wir angelangt sind, weil es das schlichte Nichts ist. Sicher würde ich gern alle erreichen, aber vor allem möchte ich den jungen Leuten auch etwas Intelligentes bieten, nicht den gleichen Shit, der seit 30, 40 Jahren gemacht wird. Wir werden nicht aufgeben, bis jeder versteht.« Wie sich das musikalisch anhört, ist zu überprüfen bei Lester Bowie And The New York Organ Ensemble am 13. und 14.7. im Quasi, mit Sidewoman Amina Claudine Meyers an der Orgel und Gitarrist Jean Paul Bourely.

Im Jahr 25 nach Trane ist eine vergleichbare Musikerpersönlichkeit nicht in Sicht — es ist an der Zeit, Kontakt aufzunehmen: Sidemen von gestern mit den Young Lions von heute — im Quasi noch bis 19.7. Christian Broecking

Sonntag, 22 Uhr: Eine Berliner Minibigbandpremiere des Jocelyn B. Smith Jazzprojects, mit Reggie Moore, Rudy Stevenson und Ronnie Stephenson, Quasimodo

Montag und Dienstag, 22 Uhr: Lester Bowiw And The New York Organ Ensemble im Quasi. Kritik am Mittwoch auf diesen Seiten