: Polens Polizei läßt Wohnungseinbrecher ungeschoren - wenn sie bleiben
■ Wie man eine Wohnung klaut
Wie man eine Wohnung klaut
Warschau (taz) — Helena G. hatte Pech, daß es ausgerechnet sie traf. Im März 1979 mußte die alte Dame für zwei Monate ins Sanatorium. Als sie zurückkam, war sie ihre Wohnung los. Eine sogenannte wilde Mieterin hatte sich dort eingenistet, die Schlösser ausgewechselt, und so war Helena G. draußen und die Neue drin. An diesem Zustand hat sich seither nichts geändert.
Bei der Polizei erfuhr die alte Dame, daß es sich bei ihrem Fall nicht um ein Vergehen handele, welches von Amts wegen verfolgt werden könne. Helena begab sich zu Gericht. Dieses gab ihr recht und verurteilte die wilde Mieterin dazu, die Wohnung zu verlassen. Der Exmissionstitel ist allerdings vergilbt, weil die städtischen Behörden, eigentlich zuständig, Helena zu ihrem Recht zu verhelfen, es ablehnten einzugreifen. Begründung: Nach polnischem Mietrecht dürfe man einen Mieter nur aus der Wohnung entfernen, wenn man in der Lage sei, ihm Ersatzraum zur Verfügung zu stellen. Da die Stadt keinen habe, dürfe sie das Urteil auch nicht exekutieren.
Helena, deren Fall inzwischen von einigen Zeitungen aufgegriffen wurde, kann bis heute nicht in ihre Wohnung. Sie hat dabei noch Glück gehabt. Eine andere alte Dame, der gleiches widerfuhr, mußte einen Monat auf dem örtlichen Bahnhof nächtigen, sozusagen als Obdachlose. Dann starb sie dort.
Die sonderbare Art und Weise der Hausbesetzung kommt noch aus Zeiten, als aufgrund bürokratischer Verwicklungen Sozialwohnungen leerstanden, die dann von wilden Mietern besetzt wurden. In letzter Zeit kümmern sich die Besetzer allerdings nicht mehr sonderlich darum, ob eine Wohnung bewohnt ist oder nicht. Und die Behörden reagieren darauf genau so indolent wie im Fall Helena G.
Die Rechtslage, die so entstanden ist, spricht so ziemlich allem Hohn, was sich Juristen je ausgedacht haben: Bricht jemand in eine Wohnung ein, wird er in Polen, wie überall auf der Welt, mit bis zu mehreren Jahren Gefängnis bestraft. Vorausgesetzt, er geht wieder. Bleibt er und klaut dabei auch noch die Wohnung, bleibt er ungeschoren bis ans Ende seiner Tage. Daß Einbruch auch strafbar ist, wenn der Einbrecher nicht mit einem Sack auf dem Rücken und einer Maske vor dem Gesicht das Weite sucht, ist eine Erkenntnis, die auch nach Ansicht des polnischen Bürgerombudsmanns die Auffassungsgabe der polnischen Polizei bei weitem übersteigt. Inzwischen klagt dieser beim Obersten Gerichtshof, dessen Richter vorsichtshalber auch gleich in Urlaub gefahren sind. Einer von ihnen erklärte einer Zeitung schon mal anonym, es sei durchaus rechtens, wenn man wilde Mieter auf eigene Faust rauswerfe. Ombudsmann Tadeusz Zielinski will indessen nicht einsehen, daß gewöhnliche Einbrecher besser behandelt werden als die rechtmäßigen Eigentümer bzw. Mieter. Um so mehr, als man das Absurde an dieser Praxis noch auf die Spitze treiben kann. Im Fall Helena G. verurteilte das Gericht die wilde Mieterin zur Zahlung von Miete. Doch hätte die nicht gezahlt, hätte Helena G. sie auch nicht rauswerfen können. Denn das darf man nur, wenn man eine Ersatzwohnung...
Aufgrund des gleichen Paragraphen gibt es in Warschau inzwischen Tausende kommunaler Sozialmieter, die ihre Zahlungen eingestellt haben — Kündigung droht ihnen deshalb nicht. Die Stadt hat inzwischen sogar schon private Schuldenjäger beauftragt, die Mieten einzutreiben. Jemanden vor die Tür setzen dürfen die allerdings auch nicht. Klaus Bachmann
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