Carmen-Francesca Banciu: Kampf gegen Pusteblumen

Was ist schon ein Wort. Nichts. Eine Pusteblume, die ihre Abermillionen von winzigen Samen in die Welt setzt, um andere Pusteblumen zu schöpfen. Und so wird die Welt von Pusteblumen überschwemmt und die Menschheit mit Konzepten und Ideen infiziert. Mit Gedanken über Freiheit, menschliche Achtung, Gleichberechtigung oder ähnlichem vergiftet. Überall auf der Welt, wo Intoleranz und Totalitarismus regieren, führt man den Kampf gegen die Pusteblumen.

Es ist kein Zufall, daß sich die reaktionären Kräfte ganz kurz nach dem politischen Umbruch in Bukarest, als sie sich erholt hatten, unter dem Slogan „Wir arbeiten, wir denken nicht“ sofort regruppierten. Erstens wurde damit Denken als Nicht- Arbeiten inkriminiert. Und zweitens wurden die, die das Denken als Freiheit, Pflicht oder als ihre Bestimmung betrachtet haben, damit als Feinde des Volkes, des Vaterlandes und der Gesellschaft bezeichnet. Die Intellektuellen wurden als die Verantwortlichen ausgemacht: für das Desaster im Lande, für die Konfusion und für das Scheitern der Ideologie. Dissidenten wurden verleumdet und bedroht. „Tod den Intellektuellen“ war damals ein häufiger Slogan in Bukarest. Und da gab es manche, die sich aus Schrecken noch einmal angepaßt haben.

Die Gesellschaft hat sich in eine offene Arena verwandelt, in ein Schlachtfeld, auf dem mehrere Kriege gleichzeitig geführt werden. Die wirtschaftliche Situation ist dabei der explosive Faktor. Man möchte aber hoffen, daß am Ende der Sieger nicht nur von der Ökonomie bestimmt wird.

Solange es keine freie Presse gab, erfüllte Literatur in Rumänien die Rolle des Feuilletons, des politischen Pamphlets und der unzensierten Nachrichten. Literatur war eine der wenigen Möglichkeiten für Widerstand in der rumänischen Gesellschaft. Sie war aber auch Augenzeuge und Wortführer der kollektiven Unzufriedenheit. Die sogenannte mutige Literatur hatte viele Leser. Der rumänische Normalbürger war belesen und stand Schlange nicht nur für Milch und Fleisch, sondern auch, um Marin Predas Bücher zu kaufen. (Marin Predas Roman Cel mai iubit dintre paminteni — Der Allerbeste der Welt — behandelt unter der antistalinistischen Maske die bedrohliche Gegenwart.)

Literatur war ein Finger in der offenen Wunde. Eine gegenseitige Ermutigung. Oft war die Flucht des Schriftstellers aus der alltäglichen Lüge ins Surrealistische, ins Phantastische für den Leser Beweis einer stummen Opposition, einer heimlichen Solidarität.

Keine Rezepte und keine Lösungen. Aber unsere Angst und Bedrohung, unsere Aggressivität wird beschrieben, reflektiert, sublimiert, künstlerisch bearbeitet. Ein kleiner Schritt zur Wiederherstellung des Gleichgewichts im Universum.

Mein Schreiben hat sich durch den politischen Umbruch sowohl verändert und ist doch gleich geblieben. Weil einerseits meine Vorstellung von Literatur dieselbe geblieben ist, und mich andererseits jeder Tag um eine neue Erfahrung bereichert. Durch den politischen Umbruch ist mir bewußter geworden, daß Schriftsteller die moralische Pflicht haben, eine Brücke herzustellen zwischen dem individuell Menschlichen und der Brutalität der Geschichte. Die Suche nach Identität und Sinn bleibt ja weiterhin eine Obsession und ein wichtiges Thema.