DEBATTE
: Bieder und von gestern

■ Der deutsch-deutsche Streit muß ausgetragen werden

Unterschrieben von gut zwei Dutzend ErstunterzeichnerInnen, veröffentlichen Gysi und Diestel heute ihren Aufruf zur Gründung von „Komitees für Gerechtigkeit“. Erst sollte es eine Partei werden. Dann eine Sammlungsbewegung. Nun soll es eine Bürgerbewegung werden, die sich in Komitees sammelt. Eine Bürgerbewegung kann man nicht gründen — wenn die BürgerInnen sich bewegen, wird sie entstehen. Aber es gibt viele Wege, eine Partei zu gründen, auch den über Komitees. Sobald es auf Wahlen zugeht, das zu befürchten gibt es gute Gründe, spielen die beiden bösen Buben noch einmal Knüppel aus dem Sack — und die Ostpartei ist doch da. Denn ein Peter-Michael Diestel, gewesener DSU-Mitbegründer, Ex-DDR-Innenminister und zurückgetretener Brandenburger CDU-Fraktionsvorsitzender, will höher hinaus. Der Mann, dessen auffälligste Eigenschaft neben seiner Fähigkeit, Stimmungen in Sprüche zu verwandeln, die Eitelkeit ist, wird sich nicht damit begnügen, dem Zeuthener „Komitee für Gerechtigkeit“ vorzusitzen und den Rechtsstreit um seine Villa am See zum Präzedenzfall für die zweite Enteignung des gemeinen Ossis hochzustilisieren. Und auch der Vorwurf an Gregor Gysi, per Ostpartei die PDS puschen zu wollen, liegt auf der Hand.

Eine Nachholepartei, eine der Nörgler

Diestel und Gysi haben mit den Begriffen Partei, Bewegung, Komitee so geschickt herumjongliert, daß selbst die ErstunterzeichnerInnen, heute verdeutlichen werden müssen, sie unterstützten eine ostdeutsche Initiative und nicht die Vorbereitungen zu einer Parteigründung. Der Gystel-Zwitter offenbart das Dilemma: Es wird protestiert — aber der Protest kommt so bieder und so von gestern daher wie eine deutsche Partei.

Das Programm einer Ostpartei würde sich langfristig gesehen ja nicht wesentlich von den Programmen der Westparteien unterscheiden. Sie würde Arbeitsplätze fordern, bezahlbare Wohnungen, Entschädigung vor Rückgabe oder gar keine Entschädigung, Wohlstand, Straßenbau; sie würde die Erweiterung des Konsummodells West auf Deutschland Ost fordern, sich genauso wie die Bonner Parteien an die fatale Wachstumsideologie klammern. Umwelt-, Frauen- und Ausländerpolitik landeten auf den hinteren Plätzen. Diestels Partei wäre eine Nachholepartei, weil die Unzufriedenen, die sie verträte, das von ihr verlangen würden.

Gleichzeitig wäre sie im Bonner Betrieb einigermaßen machtlos. Selbst wenn 50 Prozent der Ossis sie wählen würden, bliebe sie eine Zehn- Prozent-Partei. Aber keine Zehn- Prozent-Partei wie die FDP, sondern eine „Nörglerpartei“. Keine der Westparteien würde mit ihr koalieren. Eine Nörglerpartei ist eine Oppositionspartei. Gleichwohl brüstet sich Diestel, der selbsternannte Rächer der Entrechteten, schon heute mit dem „Blöken der Betroffenen“ in Bonn. Er verwechselt das parteiegoistische Geplustere des Westens mit einem politischen Erfolg des Ostens und blökt seinerseits, „daß mein Schritt richtig war“ — noch bevor er ihn tut. Woher nehmen die Protagonisten einer Ostpartei eigentlich die Zuversicht, daß sie nicht ebenfalls binnen kurzer Frist Opfer der grassierenden Parteienverdrossenheit würden, von der sie jetzt noch zu profitieren glauben?

Noch verfolgen die Ostdeutschen das Muskelspiel skeptisch. Selbst wenn es Diestel und Gysi gelänge — die Anzeichen sprechen aber nicht dafür —, die besten Köpfe des Ostens für ihr Unternehmen zu gewinnen, könnte man die Ostdeutschen zu einer neuen Partei nicht beglückwünschen. Bestünde doch die Gefahr, daß sie sich — in den nächsten zehn Jahren, auf die es ankommt — im parlamentarischen Betrieb allzuschnell verschlissen. Die kurze Geschichte der Grünen in Bonn hat gezeigt, wie das geht. Bonn mit seinen vierzig Jahren Vorsprung in Sachen Parlamentarismus hat genug Erfahrung, nervtötende Neulinge von den Entscheidungszentren fern zu halten.

Vor der Einigung steht der Streit

Vor diesem Hintergrund aber den Ossis, einer Ostpartei, oder den „Komitees für Gerechtigkeit“ Spaltungsabsichten vorzuwerfen, zeigt die ganze politische und kommunikative Unfähigkeit des Westens. Und weil alle Nach-Wende-Politik Einigungspolitik ist, gilt der Spaltungsvorwurf auch noch als das schwerwiegendste Argument: Jene, die die Einheit wollten, dürfen sie jetzt denen, die sie machen, nicht unnötig verkomplizieren. Das ist undankbar.

Zweifellos verschärft aber eine Ostpartei den Ost-West-Konflikt nicht, sondern sie ist ein Ausdruck des gegenseitigen Mißbehagens. Verunglückte Einigung und neuerliche Spaltung suchen sich ein Ventil. Ossis solidarisieren sich mit Ossis. Denn sie gehen ja nicht glücklich in der neuen Westgesellschaft auf und vergessen, daß sie Ossis waren. Zu Recht machen Diestel und Gysi darauf aufmerksam, daß ungelöste Ostprobleme unversehens zu ungelösten Westproblemen mutieren werden. Schließlich sind wir ein Volk. Zu Recht auch halten sie ihren KritikerInnen entgegen, daß der Streit in diesem Volk erst ausgetragen werden muß, bevor er beigelegt werden kann. Selbst die Ostabgeordneten der Bonner CDU-Fraktion haben das begriffen und sich zu einer christlich- demokratischen Neufünfland-Union zusammengetan, um mehr Masse gegen den Superschwergewichtler Kohl auf die Waage zu bringen. Daß mehr gestritten wird auf deutsch- deutsch, ist nicht schlimm, sondern dringend nötig.

Es ist bequem und unsensibel, die Beschäftigung mit den ostdeutschen Schwierigkeiten auf die Auseinandersetzung mit einer Ostpartei oder „Komitees für Gerechtigkeit“ zu verkürzen und den ostdeutschen Vereinen auch gleich noch jede Existenzberechtigung abzusprechen. Dann ist man, scheint's, mit den dösigen Ossis mal wieder schnell fertig. Tatsächlich aber kommt diese Haltung einer Verweigerung des Ost- West-Dialogs von unten gleich. Wessis werfen Ossis vor, sie nörgelten nur herum, statt aktiv zu werden. Doch ist es nicht so, daß auch die Wessis längst nur noch herumnörgeln und von Bonn Lösungen erwarten, statt sie zu erkämpfen? Daß es ihnen selbst an politischer Pahntasie fehlt? Daß sie selbst müde sind? Sie nennen eine Ostpartei „Partei des Ressentiments“, aber ihnen fällt nichts anderes ein, als diesem Ausdruck deutsch-deutschen Desasters wiederum nur mit Ressentiment zu begegenen.

Eine Politik, die dem Bauch entspringt

Wieso eigentlich Ressentiment? Warum eigentlich nicht Betroffenheit? Dieses Wort steht — etwas angekratzt zwar, aber doch immer noch — dafür, daß Menschen sich zur Wehr setzen, wenn es ihnen oder der Welt, in der sie leben, an den Kragen geht. Statt mit dem Begriff Ressentiment die Abwertung einer aus dem Bauch inszenierten Politik zu betreiben, sollten Wessis unter dem Stichwort Betroffenheit anfangen, den aus dem Bauch kommenden Ostprotest wahrzunehmen und ihn aus dem Ostdeutschen ins Westdeutsche zu übersetzen, wenn sie ihn denn anders nicht verstehen können. Aus Betroffenheit wurden im Westen Betriebe und Zeitungen gegründet, Öko- und Frauengruppen ins Leben gerufen, wurde an AKW-Zäunen gerüttelt und wurden die Kinder anders erzogen. Sage niemand, das habe den Westen nicht verändert.

Bekomme aber auch niemand sentimental glänzende Augen, wenn Gysi nun schon von einer „Ost-Apo“ spricht. Es gibt keine Ost-Apo. Außerdem können Diestel und Gysi sich nicht für ihre Ostpartei auf brave, gewesene DDR-KleinbürgerInnen stützen — das sind die Leute, die sie wählen würden — und gleichzeitig wild-demokratische Apo-Zeiten anbrechen sehen. Eine Ostpartei und irgendwelche „Komitees“ werden weniger verändern, als ihren ParteigängerInnen lieb sein dürfte. Aber der Osten wird sich und wird auch den Westen verändern. Sehen wir also genau hin, mischen uns ein und lassen uns den Blick nicht gleich durch Parteien und Komitees verengen, denn: Noch mehr Westen ertragen wir nicht. Bettina Markmeyer