INTERVIEW
: „Zum Glück ist die Regierung überfordert"

■ Professor Laszlo Csaba, Direktor des ungarischen Konjunkturforschungsinstitutes Kopint-Datorg und Berater des Finanzministers Mihaly Kupa, zu den Wirtschaftsreformen und der Rolle des Staates beim Transformationsprozeß

taz: Die Regierung färbt den Zustand der ungarischen Ökonomie positiv, die Opposition malt ihre Prognosen düster aus. Was stimmt nun eigentlich?

Laszlo Csaba: Die Opposition neigt dazu, die negativen Seiten überzubewerten, weil sie in der Opposition ist. Jeder, der einen internationalen Vergleichsmaßstab anlegt, muß erkennen, daß Ungarns ökonomische und soziale Ergebnisse, sagen wir, gar nicht so übel sind. Ich neige zu einer positiven Bewertung, denn die derzeitige Transformationskrise ist eine, die man nicht in zwei, drei Jahren bewältigen kann. Natürlich haben wir Probleme. Aber wenn man danach fragt, ob es insgesamt gesehen eine Alternative gibt, dann weiß ich keine oder nur eine schlechtere Antwort: Umschuldung, Abwertung des Forint, künstliche Konjunkturbelebung, große Beschäftigungsprogramme.

Sie haben mehrfach darauf hingewiesen, daß die Schattenwirtschaft einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der ungarischen Wirtschaft leistet und ohne sie alles schlechter aussähe. Heißt das, daß die Regierung wirtschaftspolitisch keine Rolle spielen kann?

Ich würde das nicht nur auf die Schattenwirtschaft beziehen. In den letzten Jahren hat sich die ungarische Gesellschaft und Wirtschaft von der Staatsmacht emanzipiert. Der Staat hat relativ wenig mit der Wirtschaft zu tun, ähnlich wie in Italien. Auch wir haben hier in Ostungarn einen Mezzogiorno, während sich in Budapest ein Kapitalismus des 19. Jahrhunderts entwickelt — mit allen Vor- und Nachteilen.

Was ein Armutszeugnis für die Regierung Antall ist.

In der Geld- und Haushaltspolitik sowie bei der Liberalisierung der Außenwirtschaft hat die Regierung einen vernünftigen Kurs verfolgt. Darüber hinaus muß ich sagen: Es ist ein großes Verdienst von Antall, daß er die drei Wirtschaftsprogramme der Koalitionsparteien nicht verwirklichen konnte — denn das würde nur Protektionismus, Dirigismus und staatliche Kontrolle des Eigentums bedeuten.

Die Kritik, daß die Importliberalisierung die ungarischen Unternehmen aufgrund fehlender Konkurrenzfähigkeit zugrunde richtet, teilen Sie nicht?

Die Konkurrenz aus dem Ausland wird dafür sorgen, daß das gemacht wird, was Privatisierungs-, Wettbewerbs- und staatliche Restrukturierungspolitik nicht schafft. Abgesehen davon sind bis jetzt keine großen Nachteile für ungarische Unternehmen entstanden, wie unsere Forschungen bewiesen. Die Firmen schreien nur laut.

Sehen Sie keine Gefahr darin, daß die Regierung sich zuviel um das monetäre Gleichgewicht kümmert und zuwenig um die Arbeitslosigkeit oder die Restrukturierung der Wirtschaft?

Ein Glück, daß die Regierung nur auf das Finanzgleichgewicht achtet und sonst auf nichts. Alles andere wäre nur zum Nachteil der Wirtschaft. Gut, ich könnte mir so etwas wie eine Wettbewerbsförderung vorstellen. Aber ich glaube, diese Art von Politik überfordert die Regierung. Interview: Keno Verseck