„Politik nicht erst, wenn alles brennt“

■ 10 Jahre Forschungsstelle: Wolfgang Eichwede über alte Fehler und neue Herausforderungen an die Ostpolitik

Im Mai 1982 wurde mit der Forschungsstelle Osteuropa eines der umstrittensten aber auch populärsten Institute der Bremer Uni eröffnet. Die taz sprach mit dem Gründervater und Direktor Wolfgang Eichwede.

taz: Hat die Forschungsstelle nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums noch etwas zu tun?

Bitte den Mann

Wolfgang Eichwede: Die Arbeit der Forschungsstelle hat sich mit dem Wandel des Gegenstandes im positiven und schönen Sinne verändert. Wir hatten in den frühen Jahren mit der Analyse des Untergrundes einen genauso spannenden Gegenstand wie heute, aber einen umgrenzten. Jetzt wollen wir die Widersprüchlichkeit erforschen, mit der sich dort die Bildung einer bürgerlichen Gesellschaft vollzieht oder das, was eine bürgerliche Gesellschaft werden soll.

Vor 20 Jahren haben wir von Übergangsgesellschaften vom Kapitalismus zum Sozialismus gesprochen. Heute sprechen wir von Transformationsgesellschaften vom Sozialismus zum Kapitalismus, als ob man den Weg schon wisse. Ich denke, der Prozeß ist sehr viel offener, als der Begriff Transformation suggeriert.

Die Kontakte in den Osten gehen auch auf den Aufbau des Untergrund-Archivs zurück. Was ist das Material noch wert, wenn sich herausstellt, daß die Geheimdienste in der Dissidentenszene mitgemischt haben?

Auch ein durch die Stasi gefälschtes Untergrunddokument ist ein spannendes Dokument. Es sagt viel über den Staat oder die Gesellschaft aus. Wenn die Stasi sich gezwungen gesehen hat, so in die Opposition hinein zu wirken, zeigt das etwas über den Grad der Instabilität der Gesellschaft. In diesem Sinne hat das Dokument einen Aussagewert, auch wenn es an Authentizität verliert. Je komplexer die Zusammenhänge, umso toller können sich die Forscher austoben.

Es gibt KGB und Stasi-Dokumente auch über die Forschungsstelle. Gab es in Ihrem Umfeld einen IM?

Es gibt nichts genaueres. Wir wissen, daß wir beim ein oder anderen Geheimdienst einen gewissen Rang hatten. Wir wissen, daß es einige gegeben haben muß, die nicht schlecht über das Institut und seine Mitarbeiter Bescheid gewußt haben. Das ergibt aber noch kein Gesamtbild. Wir haben immer ein Maximum an Offenheit praktiziert. Bis auf ganz wenige Dokumente war alles zugängig. Das Spionieren zeigt in gewisser Weise die Blödheit dieser Systeme.

Das Institut hat erhebliche politische Schwierigkeiten in der Gründungsphase gehabt.

Bremen hatte in der Frage der Forschungsstelle Schwierigkeiten mit Polen, weil die polnische Seite eine subversive Institution gesehen hat. Die Verrücktheit der damaligen Situation läßt sich an einem Beispel demonstrieren: Ich hatte eine Gesprächspartnerin aus Polen, die mir die formellen Proteste ihrer Regierung überbrachte und mich dringend aufforderte, die Arbeit einzustellen. Dann fragte sie, ob das offizielle Gespräch beendet werden könne und der inoffizielle Teil begonnen habe. Ich sagte, wenn sie das wolle, gerne. Dann sie: Fahren Sie fort zu sammeln, vergessen Sie alles, was ich gesagt habe.

Der Widerstand kam nicht nur aus Polen, sondern es gab auch Bedenken innerhalb Bremens und der Bundesrepublik, auch wenn Koschnick und Brandt letztlich durchgesetzt haben und das Institut gegründet wurde.

Diese Bedenken hatten einen gutmütigen Hintergrund und man muß mildernde Umstände gelten lassen. Man fürchtete, die Entspannungspolitik könne gefährdet werden, wenn hier die Opposition analysiert wird. Insofern war das Motiv ehrenwert. Der mildernde Umstand ist, daß die Kritiker bemerkenswert wenig über die Länder Osteuropas gewußt haben. Obwohl sie für Entspannung eintraten und damit Öffnung wollten, blockierten sie sich gegen eigene Lernprozesse. Man war für das friedliche Verhältnis zwischen den Staaten und hat ignoriert, daß die Staaten „Krieg mit ihrem eigenen Volk“ geführt haben, wie es der frühere Heizer und spätere Außenminister Jiri Dienstbier formuliert hat.

Hebt das nicht die mildernden Umstände auf?

Das rührt an ein Grundproblem der letzten 20 Jahre. Ich habe mich mit Leib und Seele für die Brandtsche Ostpolitik engagiert. Viele haben dann in der 80er Jahren übersehen, daß es in Osteuropa Änderungen gegeben hat, die diesen zwischenstaatlichen Prozeß von innen her überholt haben. Die Politik der kleinen Schritte, nur auf die staatliche Ebene beschränkt, hat sich als unzureichend oder als falsch entpuppt. Was Anfang der 70er Jahre richtig war und viel bewegt hat bis hin zum KSZE-Proze, ist in den 80ern erstarrt, zum Irrtum und schließlich zu einer blockierenden Politik geworden. Man hätte in Rechnung stellen müssen, daß die Systeme mit denen man sich „vertragen“ muß, gleichzeitig im Konflikt mit ihren eigenen Gesellschaften liegen.

Was wären die Eckpunkte einer neuen Ostpolitik?

Wir haben es mit einem Prozeß zu tun, der sich in Größenordnungen bewegt, die nur sehr schwer von der Diplomatie zu erreichen sind. Diese Prozesse sind von einer derartigen Dynamik und Widersprüchlichkeit, daß sie von außen nicht einmal durch einen noch so virtuos Pirouetten drehenden Hans-Dietrich Genscher erreicht werden können. Wir waren viel zu lange auf Gorbatschow konzentriert, auch, als es schon nichts mehr zu stabilisieren gab. Wir haben eine Menge Geld in die alten Strukturen gegeben, das uns heute fehlt. Vor Jahren hätten wir uns intensiv bemühen müssen, zu den einzelnen nationalen Eliten Kontakte aufzunehmen, und nicht erst dann, als diese Eliten schon an der Macht waren.

Die risikoscheue Politik ohne Inneninformationen hat sich bitter gerächt. Heute steht man hilflos vor Prozessen wie vor Personen. Die westliche Welt müßte in sehr viel größerem Umfang zum Engagement bereit sein. 24 Milliarden Dollar sind alles in allem lächerlich angesichts der Dimension der Probleme.

Gleichzeitig müßte man in einer Reihe von politischen Fragen Positionen formulieren, die nicht verletzt werden dürfen: Menschenrechte, Minderheitenschutz, Autonomieregelungen. Mit Prinzipien, die auch für den Partner kalkulierbar sind, hätte man eine Möglichkeit, Einfluß zu nehmen. Wenn alles brennt, ist das nicht mehr möglich. Fragen: Jochen Grabler