In der Hitze verpufft

■ Premiere im Freien Schauspiel: »Caligula« von Albert Camus: Theater als körperliche Anstrengung

Das beherrschende Gefühl an diesem Abend: Es ist zu heiß. Trotzdem sind erstaunlich viele Leute gekommen, um die neue Produktion des Freien Schauspiels zu sehen. Die Luft ist nach kurzer Zeit zum Schneiden, das Wasser läuft uns allen den Rücken herunter. Theater als körperliche Anstrengung — nicht nur für Schauspieler.

Der Boden des Raumes ist mit feinkörnigem Sand bedeckt; im Halbdunkel erkennt man tiefblau angestrichene Wände, die teilweise mit an Ketten aufgehangenen Blechen verdeckt sind, und drei dünne Säulen, ebenfalls aus Blechrohr. Es wird vollständig dunkel; tiefe Töne wie aus einem Baßverstärker scheinen den Raum vollständig auszufüllen. Als es wieder hell wird, ist die Bühne voll mit Leuten, und ich frage mich, wie sie denn alle auf diesem begrenzten Stückchen Bühne spielen wollen.

Das Stück, 1945 uraufgeführt, birgt eine spannende Geschichte: Caligula, der römische Kaiser, hat sich aus Rom entfernt. Die Patrizier sind, da sie den Grund für sein plötzliches Verschwinden nicht wissen, voller Sorge. Als er nach drei Tagen zurückkehrt, erkennen sie ihn nicht wieder. Er hat sich vorgenommen, das Unmögliche möglich werden zu lassen, will besitzen, was nie jemand vor ihm besaß: den Mond. Diese Idee, die sich zum Wahn steigert, versucht Caligula, kraft seiner Macht als Kaiser, mit grausamen Gesetzen zu verwirklichen.

Den Schauspielern des Freien Schauspiels ist anzumerken, daß sie die Arbeit an diesem Stück sehr ernst genommen haben. Mit ungeheurer Kraft und Intensität wird die Geschichte dargeboten. Dem Regisseur (Bernd Mottl) fehlt es nicht an Einfällen, aber leider bleiben sie oft äußerlich und ersetzen das, was eigentlich über das Spiel der Darsteller erzählt werden müßte. Requisiten, die die Schauspieler charakterisieren sollen, sind nichts anderes als äußeres Beiwerk. Und wenn Brutalität durch eine Vergewaltigung erzählt wird, die nur an naturalistischer Präzision nicht zu überbieten ist, wird's ärgerlich. Die nicht enden wollenden Äußerlichkeiten und Klischees lenken ab und verhindern, daß man den Gedanken des Stückes folgt.

In der Enge des Spielraumes behindern sich die Darsteller. Partnerbeziehungen und Figurenentwicklungen erschöpfen sich in Lautstärke und aufgerissenen Augen. Es wird im Sand geschrien und getobt, es staubt und stinkt in diesem Raum. Man ist so nah dran an den Schauspielern, daß man die Schweißtropfen zählen kann, und ist doch sehr weit weg. Der Abend verpufft in der Hitze der Nacht. Sibylle Burkert

Weitere Vorstellungen: heute und morgen sowie 16.-19.7., jeweils 20.00 Uhr, Pflügerstraße 3, Neukölln