Mit der 20 Stunden dauernden "Tosca" "Botschaften in die Welt" senden: Italiens Opern zur Realzeit

Italiens Opern zur Realzeit

Roma (taz) — Daß Italiens Theater- und Kunstschaffende schon immer eine Art Besessenheit nach tagesbezogener Nutzung ihrer historischen Stätten gezeigt haben, ist keine Neuigkeit. Ob in der Arena von Verona die Aida aufgeführt wird oder im griechischen Theater von Taormina Sophokles, ob in den Caracalla- Thermen Roms Rossini, Verdi oder Puccini vorbeidefilieren, Faustregel ist: je älter das Bauwerk, für um so authentischer soll der Zuschauer die Präsentation halten. Umsonst ziehen Umwelt- und Denkmalsschützer gegen den meist schädigenden Lärm- und Umbaufimmel zu Felde: Nichts zu machen, selbst Rockkonzerte brauchen in Italien zumindest Venedigs Markusplatz als Kulisse.

Nun ist die Manie für Historisches und Originales auf ein weiteres, neues Niveau gehoben worden: seit Samstag, den 11., 12 Uhr geht es nicht mehr nur um hehre Schauplätze oder tausendjährige Kulissen: nun wurde auch noch zu „realer Zeit“ gespielt, wie das Werbeblatt ankündigte. Im Klartext: was in einer Oper am Vormittag passiert, soll dem Zuschauer auch vormittags präsentiert werden, Abendereignisse sind nur nach Einbruch der Dämmerung zulässig, und wenn im Stück ein Duell im Morgengrauen vorkommt, soll sich das Publikum gefälligst den Wecker für diese Zeit stellen.

Das Werk, mit dem man die neue Epoche einleitete, ist Puccinis Oper Tosca aus dem Jahre 1900. Mit den drei Akten bombardierte Regisseur Patroni Griffi Italiens Musikfreunde, in einer Aufführung, die sich insgesamt mehr als 20 Stunden hinzog. Gesungen, geliebt, gelitten wurde an den von Puccini bezeichneten Originalschauplätzen, die von Akt zu Akt wechseln; Catherina Malfitano waltete als Floria Tosca, Placido Domingo als Mario Cavaradossi.

Punkt 12 Uhr ließ Dirigent Zubin Mehta den ersten Ton erklingen in der Kirche Santa Andrea della Valle, wo Arien wie Recondita armonia erklangen und am Schluß das „Te deum“ herabdonnerte. Dann war etwas Zeit für die Siesta der Kunstbeflissenen. Um 20 Uhr 15 ging's weiter in den Sälen des Palazzo Farnese, wo unter anderem „Vissi d'arte“ ertönte; sieben Stunden Schlaf, dann, um sechse, das große Finale in der Engelsburg. Da konnten Kundige dann „E lucean le stelle“ mitsummen. Das alles störte die Realsänger nicht: der Zuschauer saß, live zwar, aber nicht präsent, zu Hause vor der Röhre. Denn alles ist nur TV-Spektakel. Die staatliche Fernsehanstalt hat die Realzeit-Aufführung in mehr als achtjähriger Arbeit eingerichtet. Ein bisher einmaliges Spektakel, so jedenfalls die Einschätzung nahezu aller Kulturschaffenden, von den Medien ziemlich einhellig zur „Botschaft des modernen Italien an die Welt“ erklärt. Tatsächlich übernahmen, allerdings zu versetzter Zeit, mehr als 90 Länder das Kolossalschauspiel. Was will der sonst arg heruntergekommene Staatssender mehr, als soviel Aufmerksamkeit bekommen?

Da sollten Mißstimmungen natürlich möglichst klein gehalten werden. Etwa durch die Wiederholung, gestern abend und an einem Stück, auch für Live-Muffel und konservative Opernfans.

Einer allerdings wird ganz und gar nicht froh über das Ereignis: Italiens derzeit höchstbezahlter Star-Regisseur Franco Zeffirelli. Er, der zwar schon 1965 in Paris die Tosca mit Maria Callas vorführte, aber mit dieser Aufführung ganz und gar nichts zu tun hat, glaubt sich zu erinnern, im Jahre 1986 oder 1987 mal was gebrummelt zu haben, das man als „Aufführung zur realen Zeit“ verstehen konnte. Und so reklamiert er immerhin die Vaterschaft für das ganze Projekt. Das glaubt ihm aber keiner, und so überlegt er angeblich gar schon urheberrechtliche Schritte.

Den Römern ist die Sache weithin gleichgültig. Sie sitzen derzeit sowieso meist im Strandbungalow oder in den kühlen Bergen und schwätzen lieber mit den Nachbarn. Werner Raith