KOMMENTARE
: Der hysterische Aufschrei der Ignoranz

■ Zu den Komitees für Gerechtigkeit gibt es derzeit keine Alternative

Als einer der 69 Erstunterzeichner des Aufrufs zur Gründung von „Komitees für Gerechtigkeit“ hat mich die fast schon hysterische Ablehnung dieser außerparlamentarischen Initiative doch überrascht; zum einen in ihrer wütenden Heftigkeit, zum anderen in ihrer alle politischen Lager vereinenden Breite. Die Komitees bedrohen offensichtlich sowohl die exorzistischen Reinigungsrituale ehemaliger Linker als auch die Parteipolitiker, besonders der CDU, deren Legitimation und Ansehen im Osten unaufhaltsam erodieren. Das ist gut so.

Die Komitee-Initiative ist eine notwendige Konsequenz aus der Tatsache, daß die den Ostdeutschen übergestülpte westdeutsche Parteienstruktur in gigantischem Ausmaß versagt hat. Wenn vermeintlich demokratische Politik so offenkundig gegen die Interessen ihres angeblichen Souveräns exekutiert wird, sind Alternativen gefordert — allein schon um Politiker und Parteien dazu zu zwingen, ihre Politik zu überdenken und zu korrigieren. Daß die Komitee-Kritiker der etablierten Parteien vorwiegend selbstherrlich oder beleidigt auf einen solchen überfälligen Korrekturversuch reagieren, diskreditiert sie selbst, nicht aber die Komitee- Initiative. Sie wollen offenbar weiterhin das soziale Desaster, die alltäglichen Demütigungen und die Häufung menschlicher Katastrophen im Osten ignorieren und ihre gescheiterten Vereinigungsstrategien als das einzig Sinnvolle und Machbare verkaufen.

Ihr geläufigstes Argument, die Komitees vertieften die Spaltung, ist zugleich das schwachsinnigste. Die Spaltung ist so tief und bitter wie nie zuvor seit dem Fall der Mauer. Als einer, der seit mehr als einem Jahr in Ost-Berlin wohnt, kann ich beobachten, wie die unbarmherzige Enteignungspolitik des Westens Tag für Tag neue Keile zwischen Ost- und Westdeutsche treibt: Jeder von der Treuhand stillgelegte Betrieb, jede abgewickelte Institution, jeder geschlossene Kindergarten oder Radiosender, jede Erhöhung der Bustarife oder Mieten vertieft die Spaltung.

Selbst wenn die Komitees für Gerechtigkeit nicht zu einer breiten Bewegung werden, haben sie eines schon erreicht. Sie demonstrieren, daß der Westen die Ostdeutschen nicht weiterhin zu Objekten eines lustlos betriebenen Verwaltungsaktes degradieren kann. Und wer — einerlei ob westdeutsch oder ostdeutsch — die Parteien so weiterwursteln läßt, bereitet den Boden für wirkliche Populisten, welche die Gefühle der Ohnmacht im Osten verantwortungslos ausbeuten könnten, für Schönhuber und andere rechtsradikale Rattenfänger. Ihnen sind die Komitees zum Glück erst einmal zuvorgekommen. Michael Sontheimer