„Kinder, es muß sein!“

■ Interview mit Oberst Andrej Olegowitsch Bogatyrjew, 40, stellvertretender Chef der Verwaltung des Ministeriums für Sicherheit der russischen Föderation für St. Petersburg und das Leningrader Gebiet, UMBRF

taz: Wieviele Mitarbeiter hat der KGB, oder besser gesagt die UMBRF heute in St. Petersburg?

Andrej Bogatyrjew: Die genaue Zahl ist natürlich geheim, aber in allen Bezirksverwaltungen zusammengenommen dürften nicht mehr als tausend Mann im Außeneinsatz sein. Ich zähle dabei nicht die Leute von allen möglichen Hilfsdiensten mit.

Für welche Angelegenheiten sind Sie direkt zuständig?

Ich betreue die Antiterrorabteilung und leite selbst die Abteilungen für Informationsanalyse und für gesellschaftliche Kontakte.

Kann heute irgend jemand in St. Petersburg den Mitarbeitern Ihrer Verwaltung vorschreiben, was Sie zu tun haben?

Früher hat man uns aus dem Gebietskomitee der Partei angerufen und gesagt: „Kinder, es muß sein!“ Und wir haben getan, was man von uns verlangte. Heute sind wir einzig und allein dem Ministerium für Sicherheit der Russischen Föderation unterstellt, und der Minister für Sicherheit seinerseits nur dem Obersten Sowjet und dem Präsidenten der Republik. Und dem Chef unserer Verwaltung in Petersburg kann niemand irgendwelche Befehle erteilen. Obwohl das nicht heißt, daß wir keinerlei Kontakte zum Bürgermeisteramt oder dem Stadtsowjet unterhielten.

Worin erblicken Sie ihre dringlichsten Aufgaben?

Die Lage in unserer Stadt ist selbstverständlich nicht so angespannt wie in Moldawien oder in Karabach, aber unruhig. In den letzten Jahren macht sich ernsthaft die Polarisierung zwischen verschiedenen nationalistischen Gruppen bemerkbar, armenischen, aserbaidschanischen, tschetschenischen und anderen. Bisher handelt es sich dabei im wesentlichen nur um Formationen aus dem kriminellen Milieu, aber sie sind hervorragend bewaffnet. Wir beschäftigen uns auch mit der Analyse von Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen. Ich unterstreiche, daß wir uns dabei nicht von parteilichen oder politischen Zielsetzungen leiten lassen. Wir versuchen nur herauszubekommen, wer den Weg des bewaffneten Kampfes wählen könnte.

Sehr beschäftigt uns in letzter Zeit der Waffenhandel. Die Waffen strömen sozusagen von überall her: aus dem Ausland, aus den Einheiten der ehemaligen Sowjetarmee werden sie hierher verkauft. Nicht nur unsere städtischen Banditen versorgen sich damit, zu allem Überfluß reisen auch noch illegale Emissäre aus anderen Republiken an, die sich bei uns eindecken. Außerdem bereitet uns auch noch der Terrorismus Kopfschmerzen. Früher wußten wir nicht einmal, was das ist. Wir lasen wohl davon, daß so etwas „hinten, weit im imperialistischen Westen“ existiert. Und zur Zeit sprießt er bei uns munter ins Feld. In der Regel handelt es sich dabei um versuchte Flugzeugentführungen.

Und dann ist da noch ein sehr wichtiger Teil unserer Arbeit: Die Verfolgung der Wirtschaftskriminalität. Wundert es Sie nicht manchmal, daß das kleine Estland, in dem es fast keine brauchbaren Bodenschätze gibt, heute als einer der größten Rohstofflieferanten Europas gilt? Es stimmt schon, daß dahinter unsere russischen Geschäftsleute stehen. Sie schleusen alles heraus, und im wesentlichen auf illegalen Wegen, sogar den Teufel im Rucksack: Auch strategisch wichtige Stoffe, auch Buntmetalle. Unser Dienst zur Aufspürung von Steuerhinterziehungen steckt dagegen noch im Anfangsstadium.

Sie haben also genug zu tun?

Ja, aber die Arbeit ist jetzt sehr schwierig. Es gibt weder einen neuen Kriminalkodex noch ein Gesetz über den Status der „Spezialdienste“. Wir dienen ständig als Prügelknaben. Aber das ist noch nicht das schlimmste. Besonders kränkt uns, daß die demokratischen Machthaber die spezifischen Besonderheiten der „Spezialdienste“ nicht einsehen und uns in eine Richtung drängen, für die der alte KGB eben gerade gegeißelt wurde.

Und wie leben die Mitarbeiter Ihrer Verwaltung unter den Bedingungen der Wirtschaftskrise?

Ach, das ist eine mehr als schmerzliche Frage. Wie können sich denn Leute schon groß fühlen, die über 24 Stunden am Tag arbeiten und deren Monatsgehalt in der Regel nur die Hälfte der Summen beträgt, die ein Fahrer der untersten Trolleybusklasse verdient? Ich kann nicht genau sagen, wieviel, weil sich das ständig verändert, aber letzten Monat waren es zwischen 1.500 und 1.800 Rubel im Monat. Die Kantine unseres Hauptgebäudes steht vor der Schließung. Ein bescheidenes Mittagessen kostet zwischen 25 und 30 Rubel. Wenn dort früher 1.500 Leute am Tag aßen, sind es jetzt kaum 500 bis 600. Die Leute können sich ein Essen am eigenen Arbeitsplatz nicht mehr leisten.

Was hält denn die Angestellten dann überhaupt noch in ihrer Verwaltung?

Sie bekommen heute keine Schwierigkeiten mehr, wenn sie um Entlassung ersuchen. Viele haben schon den Abschied genommen. Die verschiedensten kommerziellen Assoziationen nehmen sie mit offenen Armen auf, Joint-ventures und Außenhandelskooperativen. Es kommt ja noch dazu, daß früher der KGB Wohnungen für seine Mitarbeiter zugeteilt bekam, daß es für sie ziemlich einfach war, sich ein Auto zu kaufen — heute kann davon nicht einmal mehr die Rede sein. An Wagen fehlt es sogar für den Arbeitseinsatz. Seit zwei Jahren haben wir schon keine einzige Wohnung mehr zugeteilt bekommen. So wird unser Image verdorben!

Und was hält die Leute, die bleiben?

Ich glaube, sie begreifen in erster Linie, daß unser Dienst heute die stabilste und disziplinierteste Organisation in der Gesellschaft ist. Und dazu — und ich schäme mich dieses Wortes nicht — das Pflichtgefühl. Denn ohne Polizei, ohne Sonderdienste: Was würde da aus unserer Gesellschaft? Interview: Maxim Korschow

Übersetzung: Barbara Kerneck