KPdSU: Ein Parteitag im Gerichtssaal

Beim Moskauer KPdSU-Prozeß üben sich die ehemaligen Parteispitzen im Pathos vergangener Tage  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Sie organisierten Mahnwachen und demonstrierten mit roten Fahnen: Wackere Altkommunisten, die zu Beginn der letzten Woche versuchten, den Prozeß des russischen Verfassungsgerichts über das KPdSU- Verbot Boris Jelzins von außen anzuheizen. Jedoch: Ihr lautstarkes Engagement hielt nicht lange an. Bereits am Mittwoch machten sie schlapp.

Aber auch die Weigerung Michail Gorbatschows, als Zeuge zu erscheinen, sorgte kaum für Aufregung. Mit der coolen Feststellung der Richter, daß die Anwesenheit des ehemaligen Präsidenten zur Aufklärung der Parteiangelegenhieten durchaus entbehrlich sei, nahm sie dem Ex-Generalsekretär geschickt den Wind aus den Segeln. Je näher das Wochenede rückte, um so mehr entstand dann jedoch im Inneren des Gebäudes die Athmosphäre eines Treibhauses. Anlaß: Die Verteidiger des Präsidenten rückten geizig dosiert nach und nach mit einigen der KPdSU- Interna heraus.

Die Heldentaten des Vaterländischen Krieges

Als „30. Parteitag der KPdSU im Saale des Verfassungsgerichts“ charakterisierte die 'Iswestija‘ die erste Phase des Prozeßes. Sie spielte damit darauf an, daß der letzte offizielle KPdSU-Parteitag als der 28. gezählt wird, daß aber nachher noch einige Male Häuflein versprengter KPdSU- Hinterbänkler sich zu diversen 29. Parteitagen versammelten. Über den Auftritt des KPdSU-Repräsentanten V. Sorkalzev schreibt die Zeitung: „Er ging zu einem politischen Pathos über, das sich nach allem, was wir nun schon über unsere Mutterpartei wissen, wie der Anfall eines Klageweibes ausnahm.“ Er rief beschwörend: „Man hat die Partei verboten, die das Volk zu seiner Heldentat im großen Vaterländischen Krieg inspirierte und das Leben von drei Millionen Kommunisten um des Sieges willen geopfert hat“. Die Korrespondentin der größten dänischen Tageszeitung 'Politiken‘, eine der wenigen, die in dieser Woche einen Platz im Gerichtssaal ergattern konnte, berichtete in einer Pause, daß anschließend der Mitankläger, der Abgeordnete Tarassow noch eins daraufgesetzt habe: Man dürfe doch nicht eine Partei verbieten, die die Moral ihrer Mitglieder derart hob. Ihn persönlich hätten seinerzeit vor einem Fallschirmabsprung die Angst und allerlei Zweifel angekrochen: „Aber dann habe ich mir gesagt, du bist doch Kommunist — und bin gesprungen!“

Die etwa 20 Millionen innenpolitischer Todesopfer der Parteipolitik versuchte der Deputierte Stepanow folgendermaßen zu rechtfertigen: „Aufs Jahr umgerechnet, kommen auf unseren Straßen mehr Leute um!“

Händeringend baten die Gerichtsvorsitzenden in den Tagen der Anhörung der Parteivertreter immer wieder darum, eine Politisierung des Prozesses zu vermeiden. Und dabei scheint diese nun schon unausweichliche Konsequenz doch vielmehr im Interesse der Jelzin-Advokaten zu liegen. Am Donnerstag und Freitag griffen die Verteidiger an. Neben Ex-Staatsekrätär Sergej Schachraj schuf sich hier am schnellsten der massige Mitvierziger Andrej Makarov ein Image. Wie eine Glucke der Demokratie wirft er sich in die Brust, legt sein Dreifachkinn in gepflegte Falten, um sodann mit süffisanter Stimme über die „Protivnaja Storona“ herzuziehen, was im Russischen ebenso „Gegenseite“ wie „Ekelseite“ bedeutet.

Streit um sechs Millionen Rubel

Auf die Bitte des Vorsitzenden Valeri Sorkin, sich historisch nicht allzuweit zu entfernen, und sich mehr auf die Zeit vor zwei Jahren zu besinnen findet Makarov schnell eine Antwort: Um sechs Millionen alter Rubel habe sich damals der Streit zwischen der Partei und dem staatlichen Fernsehen wegen der Ausstrahlungskosten des Parteitages gedreht. Die Partei meinte, daß das Fernsehen ihr diese für die Gratis-Mammutsendung schuldig sei, das Fernsehen sah das umgekehrt: Die Partei müsse zahlen. „Die Kommunisten bleiben eben sich selbst treu und nahmen die vollen Auswirkungen der gefährlichen neuen Marktwirtschaft auf sich, um sie so lange wie möglich vom Volke fernzuhalten“, kommentiert die Zeitung 'Moskowskij Komsomolez‘ ironisch.

Zu diesen Bemühungen gehört ein von Makarov verlesener Beschluß über die Unumgänglichkeit des Verkaufes des „allerverdächtigsten Teiles“ des Parteivermögens. Erstmals legte er Akten auf den Tisch, die den kriminellen Charakter dieser Organisation beweisen könnten, nämlich die Unterstützung von „terroristischen“ Vereinigungen und die physische Verfolgung von UdSSR-Emigranten über die ganze Welt. Als „im wahrsten Sinne gesellschaftliche Organisation“, mußte diese Partei zu jeder Auslandsreise eines Bürgers ihr Plazet geben.

Durchaus bereit, den finanziellen Aspekt des Verfahrens von den sonstigen „Verfehlungen“ abzukoppeln, sind die Jelzin-Verteidiger. Diese Bereitschaft nahm der Parteiadvokat sogleich auf, um eine weitere Trennung zu beantragen: Die Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit der KPdSU soll von der Frage der Rechtmäßigkeit des Jelzinschen KPdSU-Parteiverbotes abgespalten werden. Alles Für und Wider eines solchen Vorgehens hatte das Verfassungsgericht bereits in einem Vor-Hearing am 26. Mai erwogen. Die Antwort war damals wie heute eine eindeutige und begründungslose Ablehnung.