: Spießrutenlauf für Frauen in der US-Armee
Die US-Armee ist in die Schlagzeilen geraten, nachdem immer mehr Soldatinnen von sexueller Gewalt berichten Das Parlament zwingt die Militärspitze zur Untersuchung der Vorwürfe und kürzt den Stellenplan/ Navy-Chef Garrett mußte gehen ■ Aus Washington Andrea Böhm
Rhonda Cornum ersparte der Präsidentenkommission keine Details. Auf der Ladefläche eines Lasters habe der irakische Soldat sie attakkiert, den Reißverschluß heruntergerissen, ihr an die Brust gegriffen — und sie schließlich „mit der Hand verletzt — vaginal und rektal“. Der Angriff war um so brutaler, als die 42jährige völlig wehrlos auf dem Laster lag — beide Arme gebrochen, das Knie zertrümmert, in ihrer rechten Schulter steckte eine Kugel. Einigen Ausschußmitgliedern stand das Entsetzen im Gesicht.
Sie hätten sich allerdings keinen Deut für die Mißhandlung interessiert, wenn sie in einer x-beliebigen US-amerikanischen Stadt auf einem x-beliebigen Parkplatz passiert wäre. Doch Rhonda Cornum, Major der US-Armee, befand sich zum Zeitpunkt der Tat in Kriegsgefangenschaft, der Täter war ein irakischer Soldat. Die Kommission, der die Stabsärztin ihre Folter schilderte, soll auf Anweisung von US-Präsident Bush Richtlinien für den Einsatz von Frauen in der Armee erarbeiten. Einige fühlten sich nach der Zeugenaussage in dem bestätigt, was sie ohnehin dachten: daß der Einsatz von Frauen in kämpfenden Einheiten zu gefährlich ist.
Rhonda Cornum widerspricht dem vehement — und das mag zum Teil erklären, warum sie ihre Tortur als nichts Außergewöhnliches darstellt. Sie ist eine glühende Verfechterin der Chancengleichheit, wozu in ihren Augen auch zählt, mit allen damit verbundenen Risiken für das eigene Land in den Krieg zu ziehen. Was ihr in irakischer Kriegsgefangenschaft passierte, bezeichnet sie als „unangenehmen Vorfall“. Die Folterungen, denen die männlichen Soldaten in irakischer Gefangenschaft ausgesetzt waren, hält sie für viel schlimmer.
Feindliches Territorium
Nun mutet die Besorgnis der Kommission tatsächlich etwas absurd an. Denn das Risiko sexueller Gewalt für amerikanische Frauen ist schon im Alltag ihres Landes hoch genug, nicht nur während eines Einsatzes im Krieg. Mindestens 12 Millionen der 96 Millionen Frauen in den USA sind in ihrem Leben ein oder mehrere Male vergewaltigt worden — so das Ergebnis einer Studie, die mit Hilfe staatlicher Gelder im April 1992 fertiggestellt worden war. Um feindliches Territorium zu betreten, müssen Frauen nicht erst eine Uniform anziehen.
Diese Zahlen sind bei der Anhörung Rhonda Cornums und anderer ehemaliger Kriegsgefangener nicht zur Sprache gekommen — wohl aber die Frage, ob Frauen im Falle der Kriegsgefangenschaft zu einer zusätzlichen Belastung werden, wie ein Mitgefangener der Ärztin vor dem Ausschuß erklärte: Wenn man selbst von Folter und Angst gepeinigt werde, dann wolle er sich nicht auch noch Sorgen machen müssen, was mit seinen weiblichen Mitgefangenen geschehe.
Soviel militärische Ritterlichkeit hätte öffentlich vielleicht Wirkung gezeigt, wäre nicht gleichzeitig eine zweite Offizierin mit einer ganz ähnlichen und doch ganz anderen Geschichte an die Öffentlichkeit getreten. Navy Lieutenant Paula Coughlin fand keine Kommission, die ihr zuhören wollte, also berichtete sie am 24. Juni der 'Washington Post‘, wie sie im September 1991 von einer Gruppe Soldaten angegriffen wurde. Die Männer bildeten eine Gasse, stießen die Hubschrauberpilotin unter Gejohle hin und her, griffen ihr an die Brust und versuchten, ihr die Kleider vom Leibe zu reißen. 26 weitere Frauen wurden gezwungen, diesen Spießrutenlauf durchzumachen. Tatort war dieses Mal nicht ein Gefangenenlager im Irak, sondern die vollbesetzte Halle eines Hotels in Las Vegas, die Täter waren Coughlins „Kameraden“ — allesamt Piloten der Navy und der Marines. Es herrschte nicht Krieg, sondern eine Party.
Coughlin machte umgehend dem Admiral Meldung, dessen Adjudantin sie zu diesem Zeitpunkt war. Der erklärte lakonisch, so etwas passiere nun mal, wenn man mit einem Haufen betrunkener Flieger auf eine Party gehe. Die folgende interne Untersuchung durch den „Naval Investigative Service“ wäre wohl mit ähnlicher Sensibilität verlaufen, hätte Paula Coughlin nicht durch ihr Zeitungsinterview ein mittleres Erdbeben verursacht. Die eigenen „Boys“ standen plötzlich nicht besser da als der schändliche Feind im Irak.
Im Weißen Haus war man sich — kurz vor den Wahlen — über die Brisanz des Skandals wohl bewußt und reagierte prompt: Zwei Tage nach Veröffentlichung des Interviews mußte Navy-Chef Lawrence Garrett seinen Hut nehmen. Der Verteidigungsausschuß des Senats verhängte einen Beförderungsstopp, um die Navy zur Kooperation bei der Untersuchung des „Tailhook-Skandals“ zu zwingen. Im Repräsentantenhaus stimmte der zuständige Ausschuß dafür, als Strafmaßnahme statt der geplanten 5.000 Stellen insgesamt 10.000 Stellen bei der Navy zu streichen.
Damit keineswegs genug, löste das Interview der Pilotin eine Kettenreaktion aus. Am 30. Juni berichteten mehrere Soldatinnen vor einem Senatsausschuß, wie sie von Männern — ob Vorgesetzte oder untergeordnete Ränge — vergewaltigt worden waren. Plötzlich fand auch eine Studie des Pentagon vom September 1990 Beachtung, wonach unter 20.000 befragten Frauen im aktiven Dienst (insgesamt dienen zur Zeit 200.000 Frauen in der US-amerikanischen Armee) jede dritte sexuell belästigt, angegriffen oder vergewaltigt worden ist.
Interims-Navy-Chef Daniel Howard ordnete als einen seiner ersten Amtsschritte für die gesamte Navy ein ganztägiges Training in Sachen Anti-Sexismus an. Offensichtlich, so bemerkte ein (männlicher) Rundfunkkommentator in einer der zahlreichen Sendungen zum Thema, „muß man die Leute erst einmal zu Menschen erziehen, bevor man sie militärisch ausbildet“.
Das eine ist mit dem anderen wohl nicht zu vereinbaren. Statistiken aus US-amerikanischen Frauenhäusern haben ergeben, daß bis zu 80 Prozent der Männer, die ihre Frauen schlagen und/oder vergewaltigen, eine Ausbildung beim Militär oder der Polizei hinter sich haben. Und selbst der beste Anti-Sexismus-Trainingstag wird wenig nutzen, solange die schlimmste Erniedrigung der „drill sergeants“ in der Grundausbildung darin besteht, Soldaten als „weibisch“, „Sissies“ oder schlicht als „woman“ zu beschimpfen. Der Angriff auf Frauen bei der „Tailhook Association“ war nicht nur Ausdruck eines Sexismus, dessen Selbstverständlichkeit erst in den letzten Wochen in Frage gestellt worden ist. Auf dem Treffen in Las Vegas forderten Navy-Flieger in Gesängen den Ausschluß von Frauen aus ihren Einheiten — was mehr als nur Protest gegen mißliebige Konkurrenz ist.
In der Armee, so schrieb die Kolumnistin Ellen Goodmann im 'Boston Globe‘, sei der Nachweis der Männlichkeit immer entscheidendes Kriterium für den Zusammenhalt gewesen. Wie solle mann nun seine Männlichkeit beweisen, wenn plötzlich Frauen genau das gleiche tun?
Für diesen Verlust an Profilierung auf Kosten des anderen Geschlechts wird physisch oder verbal Rache geübt — das bekam nicht nur Paula Coughlin zu spüren, sondern auch Patricia Schroeder, demokratische Abgeordnete im Repräsentantenhaus und Mitglied des Armeeausschusses. Sie hatte sich am vehementesten für den Einsatz von Frauen im Militär und in kämpfenden Einheiten ausgesprochen. Vor wenigen Wochen, während einer Party auf dem „Miramar Naval Air“-Stützpunkt bei San Diego, Drehort des Hollywood-Kassenschlagers Top Gun, entrollten Piloten ein Transparent, auf dem die Politikerin zum oralen Sex aufgefordert wurde.
Daß sich im Bewßtsein der Armeeführung wie auch der Offiziere und Soldaten so schnell etwas wandeln wird, hält Pat Schroeder für ausgeschlossen. Trotzdem gibt es eine einschneidende Veränderung: Im Gegensatz zu früher, als sexuelle Gewalt in der Armee als „Ausrutscher der boys“ abgehandelt wurde, die nicht genügend ausgelastet sind, riskieren die Männer jetzt, beruflich einen Preis bezahlen zu müssen. Wie im Fall des „Miramar Naval Air“- Stützpunkts. Zwei der befehlshabenden Offiziere sind inzwischen ihres Kommandos enthoben.
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