Trauer um Sadri Berisha?

■ Nach dem Mord vom Donnerstag in Ostfildern bei Stuttgart bleibt die öffentliche Reaktion gering

Stuttgart (taz) — „Daß ein Verbrechen mit diesem Ausmaß in unserer Stadt geschieht, erschüttert die gesamte Bevölkerung“, äußerte am 9.Juli der Bürgermeister von Ostfildern gegenüber der Presse. Wenige Stunden zuvor war der 55ährige Kosovo-Jugoslawe Sadri Berisha, der seit 20 Jahren hier arbeitete, von sieben Skinheads auf grausame Weise mit Baseballschlägern und anderen Gegenständen erschlagen, sein 46jähriger Kollege Sahit Elezaj lebensgefährlich verletzt worden. Der Bürgermeister hat sich geirrt: An den spontanen Protest- und Trauerkundgebungen, die am nächsten und übernächsten Tag in Ostfildern stattfanden, nahm die angeblich so erschütterte Bevölkerung kaum teil, er selbst und andere örtliche Honoratioren ebenfalls nicht. Die 250 Demonstranten kamen zum größten Teil aus Stuttgart und waren dem Aufruf des Antifa-Plenums gefolgt. „Ich muß einkaufen, so wichtig ist das nicht“, beantwortete eine Einheimische die Aufforderung zum Mitmachen. „Der wird schon etwas angestellt haben“, meinte ein Kunde im Getränkeladen über den Ermordeten. Eine alte Dame, die den Toten persönlich gekannt hatte, kämpfte aus Trauer und Enttäuschung über ihre deutschen Landsleute mit den Tränen. „Was wird erst passieren, wenn das hier fertig ist“, seufzte sie und deutete auf eine ehemalige Fabrik, die jetzt zu einem Sammellager für Flüchtlinge ausgebaut wird.

Die Neonazi-Szene in Ostfildern hatte letztes Jahr von sich reden gemacht: Einmal war ein europaweit annonciertes Skinhead- Konzert in der Stadthalle geplant gewesen (es wurde im letzten Augenblick per Gerichtsbeschluß verhindert), das andere Mal hatten Faschisten ein türkisches Grillfest angegriffen und eine Person lebensgefährlich verletzt. Um ähnliche Vorkommnisse zu vermeiden, begann die Stadt inzwischen das Projekt einer „mobilen Jugendarbeit“ mit Skins.

Trotz erster umfassender Geständnisse gab die Polizei eine verharmlosende Presseerklärung ab. „Es steht eindeutig fest, daß für die Tat keine politischen Hintergründe in Betracht kommen“, hieß es, obwohl die Gruppe mit Naziliedern und Hitlergruß durch den Ort gezogen war. Zwei der Verhafteten sind wieder auf freiem Fuß. Zwei weitere waren seit längerem aktenkundig und auch in den Überfall auf das türkische Grillfest verwickelt. Vor diesem Hintergrund nehmen sich die Ankündigungen der Beamten, ein Vorbeugekonzept gegen Rechtsextremismus entwickeln zu wollen, nicht besonders glaubwürdig aus. Jürgen Elsässer