Bühne für den aufgestauten Frust

■ Die etablierte Politik reagiert wie von einer Hornisse gestochen: Der Appell zur Gründung einer ostdeutschen Sammlungsbewegung ruft Bewertungen wie "Volksbetrug" und "Etikettenschwindel" hervor.

Bühne für den aufgestauten Frust Die etablierte Politik reagiert wie von einer Hornisse gestochen: Der Appell zur Gründung einer ostdeutschen Sammlungsbewegung ruft Bewertungen wie „Volksbetrug“ und „Etikettenschwindel“ hervor.

Angst kennt Peter-Michael Diestel nicht. Der (Noch-)CDU-Mann im Brandenburger Landtag, neben PDS-Chef Gregor Gysi einer der Hauptinitiatoren der „Komitees für Gerechtigkeit“, fürchtet auch einen möglichen Parteiausschluß nicht. Und die lässige Souveränität, am Samstag mittag am Rande der Gründung der „Komitees für Gerechtigkeit“ vorgetragen, kommt bei den Medien gut an. Vor allem aber, wie Diestel glaubt, bei den BürgerInnen in den neuen Bundesländern. „Wir alle müssen erleben, wie den Menschen in den neuen Bundesländern mit Ver- und Mißachtung, Fremdbestimmung, politischer, sozialer und kultureller Abgrenzung begegnet wird“, heißt es etwa in einem dreiseitigen Thesenpapier, das 8 der 69 UnterzeichnerInnen des „Appells zur Gründung von Komitees für Gerechtigkeit“ verfaßt haben. Diese Thesen sollen den künftigen Komitee-Mitgliedern als Diskussionsangebot an die Hand gegeben werden. Wie das Papier soll auch der Aufruf zur Gründung als „Angebot“, als „Hilfe zur Selbsthilfe“ verstanden werden. Denn, so betont Gregor Gysi im Konferenzsaal des Berliner Kongreß Centrums, „seit dem 3. Oktober spaltet sich das Land immer schärfer“.

Die UnterzeichnerInnen, von Heinrich Albertz bis Gerhard Zwerenz, möchten, um mit den Worten Diestels zu reden, „das aktuelle politische Angebot erweitern“. Eine „klassische Kopfgeburt“ (Gysi) soll vermieden, statt dessen die „Selbstorganisation der Menschen“ in den Vordergrund gerückt werden. Der Schriftsteller Stefan Heym, einer von zehn Erstunterzeichnern, die auf dem Podium ihren Aufruf vorstellen, möchte mit seinem Engagement erreichen, „daß eine demokratischere Form der Demokratie ins Land einzieht“. Komitees haben für ihn eine lange Tradition: In den USA als Vorläuferorganisationen der Parteien, in der französischen Revolution als Wohlfahrtsausschüsse (wobei Heym die Guillotine nicht in Gang setzen möchte) bis zum hier und heute, den „Komitees für Gerechtigkeit“. Sehr viele „gute Leute“ hätten ihn unterstützt, einer habe sogar gesagt, „das ist ja wie im Herbst '89“.

Daß die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der früheren Bürgerbewegung der DDR die jetzt ins Leben gerufene Sammlungsbewegung ablehnt, führt Heym darauf zurück, daß deren „Hauptbeschäftigung“ heute nur die „Abrechnung mit der DDR“ sei. Das Bündnis 90 habe „vielleicht den Bus verpaßt“.

Etwas anders sieht dies allerdings Wolfgang Ullmann, Abgeordneter des Bündnis 90 im Bundestag. Wo die Initiatoren der Sammlungsbewegung am Horizont eine neue außerparlamentarische Opposition heraufziehen sehen, wittert er einen platten „Volksbetrug“. Eine „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für karrieregefährdete CDU- und PDS- Politiker“ nennt Ullmann in einer Presseerklärung das Gegenteil einer neuen Bürgerbewegung. „Etikettenschwindel“ heißt es auch beim Koordinierungsrat des Neuen Forum: „Trotz der Unterschriften auch etlicher glaubwürdiger Unterzeichner ist diese Bürgerbewegung eine Bonzenbewegung à la DDR.“ Teile der „privilegierten Intellektuellen des Ostens, die der alten DDR hinterherheulen, und die der Westlinken, die ihrem falschen Sozialismusbild nachtrauern“, hätten sich wieder eimal als unfähig erwiesen, aus der Vergangenheit zu lernen.

Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe mahnte in einer ersten Stellungnahme dagegen, die Gründung der Sammlungsbewegung nicht einfach abzutun. Sie sei „eine letzte Warnung“ an die Politik, „die komplizierte Lage im gemeinsamen Deutschland ernst zu nehmen“.

Während im Berliner Kongreß Centrum die Gründung mit Blumen und Blitzlichtgewitter vollzogen wird, braut sich über Peter-Michael Diestels Haupt schon eine schweres Gewitter zusammen. Der CDU- Mann, der in Potsdam über eine beträchtliche Hausmacht verfügt, rückt zunehmend ins Visier seiner Parteifreunde und -feinde. CDU-Generalsekretär Peter Hinze nennt in einer ersten Stellungsanahme am Samstag die Rolle Diestels „mehr als bedenklich“. Sollte aus der neuen Organisation eine Partei werden, droht Hinze übers Fernsehen, „dann fliegt er raus aus der CDU“.

Selbstbewußt, wie sich Diestel gibt, hat er diesen Fall schon einkalkuliert. Den Konflikt in seiner Partei will er dazu nutzen, „daß ich das erste Mal mit der Obrigkeit über den Zustand der Partei reden kann“. Ein Parteiausschlußverfahren sei auch ein Podium, der Öffentlichkeit zu zeigen, „daß ich zur momentanen CDU-Politik im Osten querliege“. Den Teilnehmern der Pressekonferenz verrät er damit nichts Neues.

Die Zuspitzung des Konfliktes steht derzeit aber nicht an. Eine Parteiform wird vorerst nicht angestrebt, ein Großteil der Unterzeichner hat sich explizit gegen eine Parteigründung ausgesprochen. Altbischof Gottfried Forck, der Präsident des Arbeitslosenverbandes Klaus Grehn und der Theologieprofessor Heinrich Fink haben für diesen Fall angekündigt, die Sammlungsbewegung wieder zu verlassen. Wolfgang Gast, Berlin