: Fröhliches Transpirieren im Kollektiv
■ Taz-Serie über Freud und Leid der schienengebundenen Pendler (6): Alle reden vom Wetter, der Bahnbenutzer erfährt es am eigenen Leib
Fröhliches Transpirieren im Kollektiv
taz-Serie über Freud und Leid der schienengebundenen Pendler (6):
Alle reden vom Wetter, der Bahnbenutzer erfährt es am eigenen Leib
Wir schienengebundenen Pendler haben wetterfühlige Körper. Wir merken am eigenen Leibe — und mit Hilfe der Bundesbahn besonders ausgeprägt —, was meteorologisch gerade angesagt ist. Bei starkem Regen zum Beispiel setzt sich keiner von uns ans Fenster, sofern er in einem der althergebrachten Eil- oder Schnellzüge fährt. Dort nämlich wird man naß, auch bei hochgezogenen Scheiben. Es handelt sich eben um extrem luftige Konstruktionen.
Eben dies kommt auch zur Geltung, wenn einmal — der in unseren Breiten immer seltenere — klirrende Frost herrscht. Wer sich dann regelmäßig auf einem Fensterplatz breit macht, riskiert durchaus eine Lungenentzündung. Und was war mit dem sonnenballerigen Wüstenklima der vergangenen Wochen?
Auch das für uns Pendler gar nicht ohne. Die Fahrgäste neigen dazu, alle sich bietenden Fenster aufzureißen. Fast unmerklich schleicht sich dann Zug in den Zug. Mancher von uns kommt am Tag danach kaum noch hoch: Total ver-
spannte Schultern und ein eklig steifer Hals.
Der legendäre Werbeslogan der Bundesbahn „Alle reden vom Wetter — wir nicht“ entspricht keinesfalls dem Pendlerfeeling. Wir Pendler sind wettermäßig hochsensibel, diskutieren über die jeweilige Lage, tauschen Erfahrungen und die neuesten heilkundlichen Erkenntnisse aus und versuchen, uns vor den schlimmsten gesundheitlichen Folgen des regelmäßigen Bahnfahrens zu schützen.
Doch die Bundesbahn, die Gute, hat immer wieder eine kleine Überraschung parat. Wie vor zwei Wochen, als der Eilzug von Flensburg nach Neumünster zwölf Minuten Verspätung hatte. Zwar konnten wir den knallenden morgendlichen Sonnenschein für ein kleines Viertelstündchen länger auf dem Bahnsteig genießen. Doch das Erreichen des Anschlußzuges stand ernsthaft zur Disposition. Wir wurden auf aparte Art für die nervigen Minuten entschädigt. Im hochsommerlichen Eilzug arbeiteten die Heizungen mit voller Kraft. Da gab's dann ein fröhliches Transpirieren. Jürgen Oetting
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen