Soundcheck: Screaming Jay Hawkins/Bill Evans Superband

SOUNDCHECK

Gehört: Screaming Jay Hawkins. Screaming Jay Hawkins kann auf die Bühne gehen und gewinnen: kaum gesellte er sich am Sonntagabend in der Fabrik zu seiner Band, die schon einige Stücke ohne ihn gespielt hatte, sprang der Funke über und die Zuschauer tanzten auf den Boxen. Mit großer Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit brachte SJH alle Anwesenden dazu, sich volle drei Stunden für die Musik und die Show zu begeistern. Es war ein Spaß, sich die guten Geister reinzutanzen. Sreaming Jay, selber am Piano, wurde begleitet von einer Band, die traditionellen R'n'B spielte.

Die Musik trat in den Vordergrund, wenn die Band die Stücke mit den stilisierten Dreiviertel- Rhythmen spielte à la „I put a spell on you“. Den eindeutigen Mittelpunkt aber bezeichnete Screaming Jay, der durch einnehmende Gebärden und die überraschende Ankündigung, heute abend „alles“ spielen zu wollen, die Parole für den Abend ausgab.

Die notorischen Knochen, Schädel, Schlangen und die bewegliche Hand vervollständigten hier weniger die Voodoo-Anteile der Performance als vielmehr die Persönlichkeit des Sängers. Hawkins verbreiterte den schmalen Grat zwischen Komik und Erhabenheit, wenn er in sein Repertoire auch Stücke über „wahre Schmerzen“ wie zum Beispiel Durchfall einbaute.

Hawkins strahlte Autorität aus, verströmte Erotik, bewies seinen Humor und brachte mit einnehmender Intelligenz sich und seine Band durch den Set.

Das Konzert verdeutlichte: Keine Idee verliert an Gehalt, wenn sie die Wahrheit bezeichnet, selbst wenn sie zu wiederholtem Male ausgesprochen oder über die Jahrzehnte immer wieder besungen wird. Der Mann mit den Knochen in der Nase führte jeden Gedanken an Sublimation binnen eines Refrains ad absurdum. Die tiefe Bedeutung von Leichtigkeit und die leicht fassbare Bedeutung von kosmischem Spaß erwiesen sich in der Fabrik als Hawkins schönstes Metier.

Hoffentlich gibt der schreiende, grunzende, zappelnde John auch nächstes Jahr wieder einen alle Konzertbesucher und die Draußengebliebenen überzeugenden Auftritt.

Ulrike Becker

Heute abend: Bill Evans Superband. Über Bill Evans, den Saxophonisten aus Miles Davis' Band der frühen sechziger Jahre, fällt niemandem ein böses Wort ein. Wozu auch: Der Mann spielt virtuos, mit kraftvollem Ton, geschmeidiger Phrasierung und enormer Einfühlungsgabe. Er hat ein eigenes melodiöses Vokabular entwickelt, das er

flüssig und schlüssig in die harmonische Syntax des zeitgenössischen Electric-Jazz einbaut.

Und zuguterletzt lächelt er so sympathisch schüchtern, wie es nur von einem zu ertragen ist, der als Künstler seine Seele in die Welt bläst. Ein Problem seiner Musik heute ist, daß es auf diesem Sektor kaum noch Überraschungen gibt, und daß er andererseits zu jung ist, um Jazz-Rock-Hits gelandet haben zu können, deren Reproduktionen ihm heute die Begeisterung voller Säle sichern würde.

So ist er ein Außenseiter geblieben, mit großer Gewissenhaftigkeit einer Musik verhaftet, die nicht mehr modisch ist und gleichzeitig zu modern, um sich in lauen Aufgüssen zu suhlen. step

Fabrik, 21 Uhr