Bosnier verzweifeln an der Bürokratie

■ Familien aus Bosnien, die ihre Angehörigen nach Hamburg holen möchten, klagen über wochenlange Wartezeiten/Ohne Verpflichtungserklärung keine Vorabzustimmung, ohne Vorabzustimmung kein Visum...

möchten, klagen über wochenlange Wartezeiten / Ohne Verpflichtungserklärung keine Vorabzustimmung, ohne Vorabzustimmung kein Visum, ohne Visum keine Einreise

„Keine Auskunft“, steht in bedrohlich großen, handgeschriebenen Lettern an der Tür von Zimmer 340. „Is' ja wie im Irrenhaus“, schimpft eine Frau, nachdem es ihr gelungen ist, im dritten Stock der Ausländerbehörde einen Aushang zum Thema Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina zu entdecken. „Nee“, fügt ihr Sohn leise hinzu, „das ist Deutschland.“ Beide wollten heute die Einreiseformalitäten für eine Verwandte regeln, die aus Sarajewo geflohen ist. Der Aushang sagt ihnen nur soviel, als daß sie gleich wieder umkehren können.

Ein Bürgerkriegsflüchtling aus Bosnien-Herzegowina braucht für die Bundesrepublik ein Visum. Für einen entsprechenden Antrag bedarf es einer „Vorabzustimmung“. Für die „Vorabzustimmung“ muß ein Angehöriger, der den Flüchtling zum Beispiel in Hamburg aufnehmen möchte, zur Ausländerbehörde gehen. Dort sind Bescheinigungen über Arbeit, Nettoverdienst und Meldeadresse sowie ein entsprechender Mietvertrag vorzulegen. Mit der „Vorabzustimmung“ in der Tasche kann sich der Flüchtling dann an eine deutsche Vertretung wenden. Die ganze Prozedur kann sich über Wochen hinziehen, weil die Behörde überlastet, der Postverkehr zusammengebrochen und Fax-Leitungen blockiert sind.

Viele gebürtige Jugoslawen haben daher auf eigene Faust erfolglose Exkursionen von Hamburg an die slowenische Grenze unternommen. Ein 42jähriger Schweißer aus Sarajevo, der seit 22 Jahren in der Hansestadt lebt und arbeitet, erzählt: „Meine Schwägerin ist vor drei Monaten mit ihren beiden Kindern aus Sarajevo geflohen. Sie schafften es mit dem letzten Bus über eine Brücke nach Slowenien. Wenig später wurde der Weg über die Sava bombardiert.“ Die drei Geflohenen kamen in einer Kaserne in Postojna unter und schliefen auf dem nackten Beton, bis entfernte Bekannte sie gemeinsam mit zwölf anderen Flüchtlingen in ihre kleine Wohnung aufnahmen. Zu essen gab es für alle kaum etwas.

Der Schweißer und seine Frau machten sich Pfingsten mit einem „Garantiebrief“ im Gepäck auf den Weg nach Slowenien. Darin hatten sie vorsorglich gegenüber der Ausländerbehörde erklärt, daß sie für alle Kosten aufkommen, die für die Versorgung der Schwägerin in Hamburg entstehen. An der deutschen Grenze erfuhren sie das Entsetzliche: Ein „Garantiebrief“ sei keine „Verpflichtungserklärung“, die für eine „Vorabzustimmung“ benötigt werde, ohne die kein Visum ausgestellt werden könne ... Schwägerin und die beiden Kinder mußten umkehren. Gestern saß der Schweißer zum x-tenmal vor Zimmer 340 und wartete.

Unter diesen Umständen schaffen es nur noch wenige Bosnier, sich nach Hamburg durchzuschlagen. An der Grenze wird nur eingelassen, wer eine Schußverletzung aufweist oder das Codewort „Asyl“ nennt, obwohl Asylbewerber aus

dem ehemaligen Jugoslawien nach deutschem Recht keine Chance auf Anerkennung haben. Kriegsflüchtlinge haben keinen Anspruch auf politisches Asyl. Alles könnte viel einfacher sein, wenn — wie zuvor für Kroaten und Slowenen — die Visumspflicht aufgehoben würde. Die allermeisten Flüchtlinge wollen ohnehin nach Ende des Bürgerkrieges so schnell wie möglich wieder nach Hause. Lisa Schönemann