»Die Verhandlungen sind festgefahren«

■ Stehen die Vereinigungsverhandlungen zwischen Berlin und Brandenburg vor dem Scheitern?/ Der Chef der Berliner Senatskanzlei, Volker Kähne, fordert »ein bißchen mehr Optimismus«/ Finanzielle Einbußen für Berlin »nicht hinnehmbar«

taz: Herr Kähne, Berlin und Brandenburg trennten sich nach der letzten Sitzung der gemeinsamen Regierungskommission im Streit. Die Stimmen, die sich gegen eine Vereinigung aussprechen, mehren sich. Selbst der Berliner Jugendsenator Thomas Krüger sieht inzwischen »schwarz« für eine Fusion. Bröckelt die Vereinigungsfront?

Volker Kähne: Herr Krüger ist nicht Mitglied der Regierungskommission. Er urteilt offenbar mehr aus Gefühl als aus Sachkenntnis. Und: Die weit überwiegende Mehrheit in der Regierungskommission verhandelt weiter. Deshalb bin ich optimistisch, daß es vielleicht doch noch gelingt — obwohl die Schwierigkeiten größer geworden sind.

Der brandenburgische Finanzminister Klaus-Dieter Kühbacher verweist darauf, daß Berlin bei einer Vereinigung finanziell viel verlieren würde: Die Westberliner, die schon mit den Ostberlinern teilen müssen, müßten in einem gemeinsamen Land auch an die Brandenburger abgeben. Berlin würde 80 Prozent seiner Einnahmen verlieren, aber nur knapp 50 Prozent seiner Ausgaben.

An dieser Stelle ist der finanzielle Nerv getroffen. In einem gemeinsamen Land würden in der Tat die Steuereinnahmen erst einmal der Landesregierung zuwachsen und erst anschließend wieder auf die einzelnen Gemeinden, darunter Berlin, verteilt. Das Land muß einen Ausgleich schaffen, indem es die Gelder in dem Maß in die Stadt zurückfließen läßt, wie sie Aufgaben für das gesamte Land wahrnimmt.

Die Brandenburger finden es aber »nicht vertretbar«, Berlin eine Sonderstellung einzuräumen. Wenn Sie sich nicht durchsetzen, hat Berlin ein jährliches Defizit von über zehn Milliarden Mark.

Das ist für uns nicht hinnehmbar. Hier sind wir in der Tat festgefahren. Aber wir verhandeln weiter.

Eine Lösung ist doch kaum vorstellbar. Wie wollen Sie den Bürgern von Kyritz an der Knatter erklären, daß für Sie in dem gemeinsamen Bundesland weniger Geld da sein soll, als für die vergleichsweise reichen Westberliner?

Es darf keine Verschlechterung für Berlin eintreten. Aber: Neben dem kommunalen Finanzausgleich gibt es noch andere Lösungsmöglichkeiten, etwa über den Finanzausgleich aller Bundesländer. Wir werden versuchen, für Berlin das Stadtstaatenprivileg zu erwirken. Berlin erhielte dann höhere Zuschüsse.

Auf dieses Privileg hat Berlin aber eher Anspruch, wenn es wirklich ein Stadtstaat bleibt.

Ja. Aber mit diesen Zuschüssen könnte ich dem Kyritzer klarmachen, daß die Besserstellung Berlins nicht zu seinen Lasten geht.

Für die Westberliner bleibt unter dem Strich trotzdem ein Verlust.

Gut, dafür erwachsen ihnen auch Vorteile, weil zum Beispiel die Müllentsorgung einfacher wird. Und es gibt noch eine dritte Finanzierungsquelle für Berlin: Hauptstadtzuschüsse der Bundesregierung. Wenn man dieses gemeinsame Land will, dann muß es auch möglich sein, nicht mit dieser Buchhaltergesinnung, sondern mit ein bißchen mehr Optimismus ranzugehen. Wir gehen noch zu sehr vom Status quo aus, anstatt weiter vorauszuschauen.

Warum nicht den Stadtstaat Berlin beibehalten?

Das ist natürlich möglich. Langfristig können wir jedoch durch eine Steuerflucht der Bürger in eine schwierige Situation kommen, ähnlich wie in Hamburg: Viele Bürger ziehen nach außerhalb, zahlen dort ihre Steuern, nutzen aber nach wie vor Leistungen der Stadt: Krankenhaus, Schule, Universität.

Sie sagten selbst, Einbußen seien für den Senat nicht hinnehmbar. Heißt das, daß Sie eine Vereinigung mit Brandenburg von Finanzzusagen des Bundes abhängig machen?

Wir machen das auch abhängig von der Haltung des Bundes. Auch er hat ein Interesse an wirtschaftlich gesunden Ländern.

Es gibt neben den Finanzen einen weiteren Streit. Brandenburg möchte Berlin auftrennen und die Stadtbezirke in souveräne Einzelgemeinden umwandeln.

Die brandenburgische Landesregierung strebt eine Konstruktion an, wonach alle Bezirke rechtlich selbständig werden. Wir wollen dagegen die Einheitlichkeit der Gemeinde erhalten. Wir fürchten, daß Berlin schwerer regierbar wird, wenn die einzelnen Bezirke ihren lokalen Interessen stärker nachgehen könnten.

Fast alle großen Metropolen Europas — Paris, Brüssel, London — sind keine Einheitsgemeinden. Warum braucht Berlin die Sonderrolle?

Weil wir bisher damit sehr gut gefahren sind. Bis 1920 hatten wir ja eine Vielzahl kleiner Gemeinden in und um Berlin. Die moderne Großstadt benötigte eine organisatorische Straffung. Von den Ergebnissen zehren wir heute noch, etwa mit dem hervorragenden Verkehrsnetz. Da können sich andere Städte eine Scheibe abschneiden.

Kühbacher schlägt vor, einen Beschluß für oder gegen die Vereinigung mit der Bedingung zu versehen, daß der Bund finanzielle Zusagen macht.

Das halte ich für völlig unakzeptabel. Bis Ende dieses Jahres können wir klar ja oder nein sagen, ob wir die Vereinigung machen wollen.

Die brandenburgischen Bürger dürfen vor einem Zusammenschluß abstimmen. Und die Berliner?

Sie werden beteiligt. Zur Wahl stehen ein Volksentscheid oder eine Volksbefragung.

Bei einer Volksbefragung wären Senat und Parlament nicht an das Votum gebunden?

Das ist richtig. Interview: Hans-Martin Tillack