Berliner strömen den »Gerechten« zu

■ Nach der Gründung des Komitees für Gerechtigkeit stehen im Berliner Landesbüro die Telefone nicht mehr still/ Das Büro in der Bunsenstraße wird von Diestel finanziert/ Die Berliner Parteien betrachten die Komitees vorerst mit Mißtrauen

Berlin. Seit gestern morgen steht das Telefon im vierten Stock des Bürohauses in der Bunsenstraße 2 in Berlin-Mitte nicht mehr still. In dem kleinen Raum mit Blick auf die Spree residiert »die Vorbereitungsgruppe für das Komitee für Gerechtigkeit«. Büroleiter Erwin Hasselberg hat schon ein ganz rotes Ohr vom vielen Telefonieren. Die meisten Anrufe kommen aus dem Ostteil der Stadt. Aber auch aus Rostock, Halle und Dresden fragen Menschen an, wie sie beim Komitee mitmachen können und bitten um die Zusendung von Informationsmaterial.

Der parteilose Erwin Hasselberg, Assistent am Institut für Friedens- und Konfliktforschung an der Humboldt-Uni, hat in diesem Jahr eigens auf seinen Urlaub verzichtet, um das Büro ehrenamtlich betreuen zu können. Die Miete, Telefon- und Telefaxgebühren habe Komitee-Gründungsmitglied Peter-Michael Diestel (CDU) für die ersten zwei Monate finanziert.

Am Nachmittag löst der 17jährige Schüler Olaf den Büroleiter ab. Eigentlich sei er nur vorbeigekommen, um ein paar Gründungsaufrufe abzuholen, erzählt der junge Mann, der Mitglied des Bündnis 90 ist. Ob er sich in einem der regionalen Bezirkskomitees engagieren will? »Ich will erst mal gucken, was da so herauskommt.«

Einstweilen notiert Olaf die Namen und Adressen der Anrufer fein säuberlich auf Karteikarten. Später sollen die Daten in einen Computer eingespeist werden.

Auf die am meisten gestellte Frage: »Wie kann ich die Initative unterstützen?« bietet der Schüler den Anrufer drei Alternativen an: »Man kann hier Telefondienst machen oder durch Hinterlassen seiner Anschrift Kontakperson in einem Bezirk werden oder einfach in einem der Bezirke mitarbeiten.« Nach Angaben von Hasselberg gibt es solche bezirklichen Anlaufstellen bereits in Friedrichshain, Lichtenberg, Hohenschönhausen, Treptow und Köpenick.

Parteien beäugen Komitees mißtrauisch

Einige wenige Interessenten kommen persönlich in dem Büro vorbei. Darunter eine 60jährige Marzahnerin, die sich zunächst einfach nur informieren will. Ihre Befürchtung ist, daß die Aktion »ein Schuß in den Ofen« wird, weil sie sich nicht vorstellen kann, daß es »noch Leute gibt, die man damit wachrütteln kann«. Die meisten Ostberliner hätten doch resigniert. Vor allem von den jungen Leuten ist die Rentnerin sehr enttäuscht. Statt gegen den §218, die Schließung der Kindergärten und Streichung der Ferienlager aufzubegehren, gingen die jungen Menschen lieber baden. »Die denken sich, die Oma wird die Kleinen schon nehmen, die freut sich darüber noch«, berichtet die 60jährige, die selbst Großmutter ist, empört. »Wozu haben wir eigentlich früher für den Aufbau der Kindergärten gekämpft, wenn sich unsere Kinder die jetzt einfach wegnehmen lassen«, kommt sie richtig in Rage. »Und wir unterstützen das auch noch. Sind wir eigentlich bescheuert?«

Büroleiter Hasselberg kann bei den Interessenten noch mit keinem prominenten Namen aufwarten, doch habe immerhin die Berliner Bezirksleitung der IG-Medien ihre Mitglieder zur Unterstützung aufgerufen. Hingegen konnten die Kämpfer für Gerechtigkeit aus den Reihen der etablierten Parteien noch keinen nennenswerten Rückhalt vermelden.

In den Zentralen von CDU, SPD und FDP wird die weitere Entwicklung des Komitees mit mißtrauischer Aufmerksamkeit beäugt, denn das Komitee könne, so die Einschätzung des Fraktionsvorsitzenden der SPD, Ditmar Staffelt, »neue Dynamik in die Politik für den Osten bringen«. Voraussetzung sei allerdings, daß es keine parteipolitischen Interessen verfolge.

Wenn die anständige Arbeit machen, findet der Sprecher der CDU- Fraktion, Markus Kauffmann, könnte er sich vorstellen, daß einzelne Mitglieder seiner Partei da mitmachen. Allerdings werde zur Zeit noch gelassen beobachtet, »wie die sich gerieren«. »Aufgeregte Reaktionen« wie bei seinen Bonner Parteifreunden stoßen bei Kauffmann auf Unverständnis, denn bislang sei das Komitee mit einer Partei nicht vergleichbar, mithin für die CDU keine Konkurrenz. Allerdings sei die Verbindung Gysi-Diestel »etwas unappetitlich«, da es eine Aktionsgemeinschaft mit Kommunisten nicht geben sollte.

Auch der FDP-Vorsitzenden Carola von Braun sind einige Namen auf der Liste der Komiteegründer »zu abschreckend«, gleichwohl wäre sie »außerordentlich alarmiert«, wenn die sich jetzt zur Wahl stellten. Denn dadurch könnten stabile Mehrheiten in den Parlamenten erschwert werden.

Während sich CDU, SPD und FDP einig sind in der politischen Ablehnung des Komitees, versteht es Christian Pulz vom Fraktionsvorstand von Bündnis 90/ Grüne eher als »letztes Warnzeichen vor größeren Aktionen von Menschen in den neuen Bundesländern«. Mit dem überparteilichen Aufruf des Komitees sieht er einen Gründungsgedanken der Bürgerbewegung zum Teil aufgenommen. Von dieser »neuen Qualität« erhofft er sich »innerparteiliche Impulse« für die Diskussion im Bündnis 90, als deren Resultat er sich vorstellen kann, »daß sich in den Bezirken eine praktische Zusammenarbeit entwickelt«. Plutonia Plarre/Dieter Rulff