ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Miles: Hämmernd in die Zielgerade

Es geht nicht darum, schnell zu spielen, du mußt in den Sound der Synthesizer und der Drums hineinkommen!“ Als der Jazzheroe Miles Davis diese Binsenweisheit in einem Interview mit Karl Lippegaus formulierte, hatte er gerade die Trompeten- und Computerplatte Tutu eingespielt; ein synthetisches Werk, das mit künstlicher Musikalität und rhythmischer Lebendigkeit perfekt die Theorie in die Praxis umsetzte. Von der Musikszene fast hysterisch erwartet, ist nun seine letzte Studioproduktion Doo Bop erschienen, die den Funk durch HipHop ersetzt hat, aber sich aufnahmetechnisch nur gering von Tutu unterscheidet.

1986 lieferte der Bassist Marcus Miller mit seinen Computer-Programmen die musikalische Basis. 1991 besorgte diese der New Yorker Rapper Eazy Mo Bee, der vor allem von Miles' Spontaneität und Produktivität begeistert war: „Er kam ins Studio und spielte sein Zeug in ein oder zwei Takes ein!“ Anfreunden konnte sich Davis sicherlich nicht mit dem kraftlosen Fundament, das Eazy mit seinem Keyboarder Deron Johnson zusammengemixt hatte. Statt Public-Enemy-Aggressivität und MC-Solaar-Groove erwarteten ihn geradtaktige Drumpatterns voller Stupidität, die ihn nur zu seinen tpyisch staccatohaften Horn-Sections animierten. Die Themen wirken derart dünn und hilflos, daß im Vergleich das berühmte Jean Pierre-Thema die titanische Ausdruckskraft eines Beethoven-Motivs erlangt. Tonleitern rauf und runter, als Break Tonrepetitionen, um im hämmernden Hochgeschwindigkeits-Sound auf die Zielgerade zu gelangen. Wenigstens Eazy zeigt sich überzeugt: „I and Miles, we're the best.“ Die zweite posthum erschienene Aufnahme Re-Birth Of The Cool war zwar mit Davis geplant, aber: Dead men don't play trumpet. Nachdem Davis mit der Quincy Jones Big- Band auf dem Montreux-Jazz-Festival in die Niederungen der Birth Of The Cool-Zeiten hinabgestiegen war, kam sein Weggefährte Gerry Mulligan auf die Idee, dieses legendäre Album aufzunehmen. Doch durch den plötzlichen Tod bekam der Trompeter Wallace Roney, der in Montreux mit dem Meister musiziert hatte, die Gelegenheit, Miles' Rolle zu spielen. Zwar muß der Hörer sich erst an sein volles Legato-Spiel gewöhnen, doch der „Neuauflage der Ohrwürmer des Jahres 1949“ verschafft es eine erfrischende Klarheit. Hier geht es nicht mehr um die Einbettung des Solo-Instruments in einen satten Band-Sound, sondern um die Offenlegung musikalischer Strukturen. Überraschend und befriedigend, wie der Saxophonist und Arrangeur Mulligan die Grundpfeiler beibehält, aber solchen Hits wie Jeru und Rouge durch Rubati und Akzentverschiebung Lebendigkeit verleiht. Nach seiner filmischen und konzertanten Aufarbeitung seiner Karriere hätte sich Miles Davis mit Re-Birth Of The Cool ein einzigartiges Denkmal setzen können. Mulligans Sockel stand parat.

Miles Davis: Doo Bop. Wea-Records.

Gerry Mulligan: Re-Birth Of The Cool. GRP 96792.

MILES:HÄMMERNDINDIEZIELGERADE