Das unmögliche Wasserkraftwerk

■ Wie ein umweltbewußter Schwabe den Naturschützern einmal gerade recht kam

Fritz Baittinger versteht die Welt nicht mehr. Er möchte im Harz mit seinem Wasserkraftwerk umweltfreundlichen Strom erzeugen und soll dies ausgerechnet aus Naturschutzgründen nicht dürfen. Indessen wachsen dem 53 Jahre alten Schwabe seine Schulden über den Kopf. Denn das seit 1896 bestehende Kraftwerk, das Baittinger vor acht Jahren gekauft hatte, liegt seit drei Jahren still. Die Banken fordern unnachgiebig Zinsen und Tilgung von dem Metallbauer, der bei Böblingen allein eine kleine Dreherei betreibt.

Seine Geschichte hat schon den Landtag in Hannover, Behörden und Gerichte beschäftigt. „Ein schrecklicher Fall“, entfährt es der Sprecherin des Umweltministerium, als der Name Baittinger fällt. Die rot-grüne Landesregierung in Hannover tut sich merkwürdig schwer. Niemand mag sich so recht für das Wasserkraftwerk am Harzflüßchen Sieber unweit von Herzberg erwärmen. Haupthindernis: Die Naturschutzbehörden pochen darauf, daß das Siebertal mittlerweile unter Naturschutz steht. Für die Bezirksregierung Braunschweig, zuständige Genehmigungsbehörde, ist der Vorgang daher „abgehakt“.

Aus dem Blickwickel der Naturschützer stellt auch das sauberste Wasserkraftwerk, das weder Luft, Wasser noch Boden verschmutzt, einen „Eingriff“ in die Natur dar. Für „wirbellose Organismen“ sei das Wasserwehr ein Hindernis, heißt es beispielsweise. Baittingers Versprechen, stets für Restwasser in der Sieber zu sorgen und eine „Fischtreppe“ zu installieren, reicht den Naturschützern nicht aus. Immerhin hat der Naturschutz unter Rot-Grün bei manchem Großprojekt (Mercedes-Teststrecke, Emsvertiefung) bittere Kompromisse schlucken müssen. In diesem Fall will man einmal hart bleiben.

Zornig hat die von Rot-Grün ins Leben gerufene Niedersächsische Energie-Agentur auf die Naturschutz-Lobby reagiert. In einem geharnischten Brief an das Umweltministerium wirft Geschäftsführer Stephan Kohler den Naturschützern vor, die Angelegenheit „völlig isoliert“ zu betrachten. Die Stillegung von Wasserkraftwerken, von denen auch die drei anderen Anlagen an der Sieber betroffen oder bedroht sind, widerspreche völlig der rot- grünen Energiepolitik, die schließlich kleine, dezentrale Kraftwerke fördern will.

Das Wasserkraftwerk an der Sieber mit einer Jahresleistung von 600.000 Kilowattstunden könnte der Umwelt im Vergleich zur konventionellen Stromerzeugung eine Menge Kohlendioxid ersparen. „Was hilft der ungestörte Wasserlauf der Sieber, wenn aufgrund von Schadstoffemissionen der Wald noch weiter stirbt“, schreibt Kohler und fordert eine „ökologische Gesamtabwägung“.

Baittinger sah vor acht Jahren in einer Fachzeitschrift die Verkaufsannonce für das Wasserkraftwerk. Er verkaufte eines seiner beiden Häuser, nahm Kredite auf und investierte insgesamt für Kauf und Modernisierung 800.000 Mark. Der rührige Schwabe hat ein Faible für Energiegewinnung aus den Kräften der Natur und betreibt zu Hause Windrad und Solaranlage. Das Wasserkraftwerk im Harz sollte für den Handwerker und seine Frau einmal die Rente sichern. Die Baittingers haben aber kaum noch Hoffnung. Mitunter verlasse ihn der Lebensmut, sagt er. „Meine Bank spielt nicht mehr lange mit, wenn in den nächsten Wochen nicht noch ein Wunder geschieht“. Andreas Möser (dpa)