79. TOUR DE FRANCE IM ZEICHEN DES TITELVERTEIDIGERS MIGUEL INDURAIN

Die Zähmung des Löwen

Berlin (taz) — Über die Taktik des Titelverteidigers Miguel Induráin bei der diesjährigen Tour de France gab es von Anfang an keinen Zweifel, seit Montag ist klar, daß sie aufgeht. Unauffällig hatte sich der 27jährige Spanier bei den bisherigen Etappen im Feld getummelt, allenfalls ein wachsames Auge auf seinen Hauptrivalen, den Italiener Gianni Bugno, geworfen, alle Risiken gemieden und sich voll und ganz auf die Einzelzeitfahren verlassen. Zu recht, wie sich bei den 65 Kilometern gegen die Uhr am Montag in Luxemburg zeigte.

„Induráin schien ein Motorrad zu fahren“, staunte die italienische Presse, und seine stärksten Rivalen waren fassungslos. Dabei waren sie gar nicht mal schlecht gefahren. Bugno wurde Dritter, nicht weit dahinter landeten Greg LeMond und Stephen Roche (Irland). Pascal Lino, der Franzose im Gelben Trikot, wuchs schier über sich hinaus, nur der kleine Italiener Claudio Chiappucci hielt nicht ganz durch und fiel zurück. Vom Sieger Induráin aber trennten auch Bugno Welten. 3:41 Minuten war der italienische Weltmeister langsamer, ein Abstand, wie er bei einem Zeitfahren der Tour de France äußerst selten ist. Im letzten Jahr hatte Induráin das erste Zeitfahren noch mit lediglich acht Sekunden vor LeMond gewonnen.

„Er hat eine Weile seinen idealen Rhythmus gesucht, dann den Autopiloten eingeschaltet und seine Geschwindigkeit nicht mehr verändert“, sagte Roche bewundernd. „Als er mich überholt hat, blieb mir der Atem weg“, berichtete der Italiener Giancarlo Perini, „er radelte nicht, er flog.“ Und Laurent Fignon, dem 400 Meter vor dem Ziel die Schmach widerfuhr, vom sechs Minuten nach ihm gestarteten Induráin überholt zu werden, meinte: „Es war wie ein Flintenschuß, als er mich überholte.“

Die eklatante Überlegenheit des Basken hat die Konkurrenz erstmal heftig geschockt. „Er ist aus Eisen“, stellte Chiappucci fest, und Gianni Bugno, dem sein Psychologe Bruno de Michelis, der sonst Ruud Gullit und Alberto Tomba seelisch aufpäppelt, bescheinigt, daß er auf dem Rad zum „unbezähmbaren Löwen“ werde, sagte resignierend: „Ich mache mir keine Illusionen.“ Selbst wenn Induráin am Wochenende in den Alpen Zeit verlieren sollte, hat er immer noch das Zeitfahren der drittletzten Etappe über 64 Kilometer, bei dem er seine Verfolger endgültig in Grund und Boden fahren kann. Matti Lieske

Gesamtklassement: 1. Lino 36:59:03 Stunden; 2. Indurain (Spanien) 1:27 Minuten zurück; 3. Jesper Skibby (Dänemark) 3:47; 4. Roche 4:15; 5. LeMond 4:27; 6. Bugno 4:39; 7. Heppner 4:52; 8. Claudio Chiappucci (Italien) 4:54

9. Etappe, Einzelzeitfahren in Luxemburg (65 km): 1. Miguel Induráin (Spanien) 1:19:31 Stunden; 2. Armand de las Cuevas (Frankreich) 3:00 Minuten zurück; 3. Gianni Bugno (Italien) 3:41; 4. Zenon Jaskula (Polen) 3:47; 5. Greg LeMond (USA) 4:04; 6. Pascal Lino (Frankreich) 4:06; 7. Stephen Roche (Irland) 4:10; ... 24. Jens Heppner (Gera) 6:07